: Schalke fehlt das Etwas
Nach der 2:3-Niederlage beim AC Mailand wird Schalke 04 in den Uefa-Cup strafversetzt. Immerhin: Die Spiele in der Champions League haben die Mannschaft nach vorne gebracht
AUS MAILAND DANIEL THEWELEIT
Nicht erst seit dem Dienstagabend erinnert Schalke 04 an einen Junkie, der von Jahr zu Jahr immer härtere Drogen benötigt. Nach der verpassten Meisterschaft von 2001 verspricht national nur noch der Bundesligatitel höchstes Glück, und nachdem die Gelsenkirchener nun in zumindest fünf von sechs Partien feinsten Stoff der Sorte Champions League gekostet haben, ist der Uefa-Cup, für den sich das Team als Gruppendritter qualifiziert hat, „bestimmt kein Trost“, wie Fabian Ernst nach der finalen 2:3-Niederlage beim AC Mailand verkündete. Vielmehr werde man „jetzt alles tun“, erklärte Sportdirektor Andreas Müller, um auch im kommenden Jahr wieder „dieses geile Gefühl“ (Altintop) genießen zu können.
Während die Spieler nach Abpfiff schon verkatert durch den Bauch des Giuseppe-Meazza-Stadions wandelten, feierten die 7.000 Fans, noch für mindestens ein dreiviertel Jahr berauscht von der letzten Dosis, ihren Trainer Ralf Rangnick. Die Aufführungen hatten soeben einen würdigen Schlusspunkt erhalten, die Anhänger bedankten sich für den aufregenden Abenteuerfußball in Europas Arenen. Für ein solches Fest mussten sie zwar die Frage des nackten Erfolges ausklammern, da man das im Fußball höchstens kurzfristig tun kann, gebührt auch der zweiten, aus Schalker Sicht düsteren Seite dieser Vorrundengruppe E eine gewisse Aufmerksamkeit.
Mit dem PSV Eindhoven hat sich ein Meister der Effizienz fürs Viertelfinale qualifiziert. Gerade einmal vier eigene Tore haben die Holländer in sechs Spielen erzielt, Schalke hingegen traf zwölfmal. „Irgendwo haben wir einfach zu viel liegen lassen. Entweder hier, in Eindhoven oder in Istanbul“, meinte Müller. Das mickrige Pünktchen aus drei Auswärtspartien ist schlicht zu wenig, wofür der Sportdirektor auch die geringen Vorkenntnisse im Wettbewerb als Erklärung anführte. „Wir müssen aus dieser Erfahrung lernen, wie man aus wenigen Situationen viel machen kann“, sagte er. Beim finalen Spiel in Mailand habe er gedacht, „jetzt hast du’s, und dann machen die eine Aktion, einfach so aus dem Nichts heraus“. Das sei eben „dieses Etwas, das alle ganz großen Mannschaften besitzen“. Und Schalke 04 nicht.
Rangnick meinte etwas ganz Ähnliches, als er von Milans „individueller Klasse“ schwärmte. Andrea Pirlo zeigte seine Fähigkeiten, als er einen wunderbaren Freistoß zum 1:0 ins Tor zwirbelte (42.). Kaká und Andriy Shevchenko beeindruckten immer wieder mit unglaublich schnellem sowie technisch anspruchsvollem Konterspiel, das freilich begünstigt war durch besagte Schalker Unzulänglichkeiten. „Wir haben vor dem zweiten und dem dritten Gegentor zwei Fehler gemacht“, sagte Ralf Rangnick mit Verweis auf leichtfertige Ballverluste, die jeweils bei Kaká landeten, der zum zwischenzeitlichen 3:1 vollendete (52., 60.). Hamit Altintop und Kevin Kuranyi hingegen vergaben ihre guten Möglichkeiten nach Milan-Fehlern.
Und dennoch hatte sich Schalke so leidenschaftlich gewehrt, dass nach Lincolns Anschlusstreffer zum 3:2 (66.) bis zur letzten Sekunde gehofft werden durfte. Nur ein Tor fehlte zur Qualifikation fürs Viertelfinale. „Wir haben uns an das Finale von Istanbul erinnert“, sagte Clarence Seedorf, im Sommer verlor Milan nach 3:0-Führung noch im Elfmeterschießen gegen den FC Liverpool. Ein wenig Schrecken konnte Schalke demnach schon verbreiten unter den Weltstars.
Mehr als eine blau-weiße Duftmarke bleibt aber nicht zurück in jenem Revier, wo die Schalker künftig fette Beute machen wollen. Jetzt hoffen sie, dass der erweiterte Erfahrungsschatz zunächst einmal in der Bundesliga hilfreich sein wird. Christian Poulsen, der das 1:1 köpfte (44.), ist in dieser Saison ebenso zu einem gestandenen Champions-League-Spieler gereift wie Rafinha, Levan Kobiashvili oder Hamit Altintop. Die deutschen Nationalspieler Kuranyi, Ernst und Asamoah blieben hingegen blass.
Dennoch hat sich die Schalker Mannschaft entwickelt auf ihrer Tour durch Europa – und dieser Vorteil könnte bitter nötig werden bei der Realisierung des wichtigsten Saisonzieles: der erneuten Qualifikation für die Champions League. Nur hier lässt das Team sich auch wirklich weiter entwickeln, das Schicksal Rangnicks, der immer noch kein sicheres Standing in Gelsenkirchen besitzt, wird also vielmehr von der Bundesliga abhängen als von diesem Ausscheiden in Mailand.