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Archiv-Artikel

Unterricht mit Konfliktpotenzial

INTEGRATION Bei der Konferenz der Integrationsminister will Dilek Kolat einem Antrag auf sofortige Sprachkurse für Asylsuchende zustimmen. Ohne Rückendeckung ihrer Koalition

„Die innenpolitischen Hardliner in der CDU behindern bisher alle Fortschritte für Flüchtlinge. Und das Thema ist ihnen wichtig“

HAKAN TAS, LINKE

VON MARINA MAI

In der rot-schwarzen Koalition Berlins bahnt sich erstmals ein ernsthafter Konflikt zur Flüchtlingspolitik an. Am heutigen Mittwoch beginnt in Dresden eine zweitägige Konferenz der Integrationsminister. Auf der Tagesordnung steht ein Antrag des Landes Brandenburg, wonach Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge von Beginn an ein Recht auf Sprach- und Integrationskurse haben sollen. Alle rot-grün regierten Bundesländer sowie Mecklenburg-Vorpommern mit seiner rot-schwarzen Koalition zeichnen den Vorstoß mit. Und auch Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) lässt der taz durch ihre Sprecherin Franziska Schönberner ausrichten, dass sie dem Antrag zustimmen werde. Einen Kabinettsbeschluss dazu gebe es allerdings nicht in Berlin. Kolat nimmt ihre Verantwortung als zuständige Fachsenatorin in eigener Regie wahr.

Bisher haben Zuwanderer erst dann ein Recht auf einen Integrationskurs, wenn sie ein Aufenthaltsrecht haben. Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge sind davon ausgenommen. Dabei geht es den konservativen Kreisen um mehr als nur um die von ihnen vehement abgelehnten bezahlten Deutschkurse. Es geht darum, dass der Aufenthalt von Asylsuchenden nur vorübergehender Natur sei und das auch bleiben solle. Jede Integrationsleistung lehnen konservative CDU-Politiker auch in Berlin seit Jahren strikt ab.

Brandenburgs Sozialminister Günter Baaske (SPD), Initiator des Antrags, erklärt hingegen: „Sprachkenntnisse sind der Schlüssel für Integration. Migrantinnen und Migranten brauchen dabei Unterstützung. Auch Flüchtlinge müssen vom ersten Tag an die Möglichkeit bekommen, Deutsch zu lernen.“ Das sei für die Verbesserung der Kommunikation mit Behörden, Ärzten sowie bei der Arbeitssuche angebracht. Sein Antrag verweist darauf, „dass Asylbegehrende in absehbarer Zeit bereits nach neun Monaten Aufenthalt einen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten.“ Ohne Sprachkenntnisse könnten sie den aber nicht nutzen. „Es liegt im Interesse der Länder und Kommunen, dass Asylbegehrende nach Möglichkeit ein eigenen Einkommen erwirtschaften.“

Einfache Mehrheit sicher

Eine einfache Mehrheit ist dem Antrag in der Integrationsministerkonferenz sicher. Allerdings hat der Gesetzgeber die Integrationsministerkonferenz mit wenig Kompetenz ausgestattet. Sie kann nur mit Zweidrittelmehrheit Anträge an den Bundesrat weiterleiten. Ob die zustande kommt, ist offen. Die unionsregierten Länder Bayern, Sachsen, Thüringen und Hessen haben bislang keine Zustimmung signalisiert. Kommt das Thema im Bundesrat zur Abstimmung, ist allerdings auch im Berliner Senat ein Kabinettsbeschluss nötig.

Das birgt Sprengstoff. „Die innenpolitischen Hardliner in der CDU behindern bisher alle Fortschritte für Flüchtlinge. Und das Thema ist ihnen wichtig“, erklärt Hakan Tas, flüchtlingspolitischer Sprecher der Linken. Wie die anderen Oppositionsparteien unterstützen die Linken das Anliegen aus Brandenburg. Canan Bayram von den Grünen sagt: „Sogar der langjährige SPD-Innensenator Ehrhart Körting hat Sprachkurse für Flüchtlinge im Innenausschuss mehrfach vehement abgelehnt. Sein Argument: Deutsche Sprachkenntnisse seien ein Stück Integration und damit ein Abschiebehindernis. Berlin könne hier aber keine Abschiebehindernisse schaffen.“ Bayram begrüßt, dass SPD-Senatorin Kolat sich von diesem alten Denken verabschiedet hat. Auch Pirat Fabio Reinhardt lobt Kolat: „Bisher habe ich bei der SPD in Berlin eigene Vorstöße in der Integrations- und Flüchtlingspolitik gegen den Koalitionspartner nicht feststellen können. Das ist mal ein guter erster Schritt.“

Die Grünen wollen die Koalition zwingen, Farbe zu bekennen. „Abhängig vom Ausgang der Abstimmung in der Integrationsministerkonferenz erwägen wir, einen Antrag auf eine Bundesratsinitiative in das Abgeordnetenhaus einzubringen“, sagt Bayram. Auf die Zustimmung der anderen Oppositionsparteien kann sie bauen. Ob sich die SPD dann durchsetzt, ist offen.

Martina Mauer vom Flüchtlingsrat hält deutsche Sprachkurse für Flüchtlinge für dringend nötig. Mit der Liga der Spitzenverbände der Wohlfahrt richtet der Flüchtlingsrat derzeit einen Aufruf an Senat und Abgeordnetenhaus, wonach Berlin Gelder für Sprachkurse für Flüchtlinge vom ersten Tag des Aufenthaltes an bereitstellen soll. Er kann auf www.diakonie-portal.de/liga-berlin/aufruf online unterzeichnet werden.