: Die das Baguette missbrauchen
Mit „Bumps & Grinds“ in der Bar jeder Vernunft ist zum ersten Mal ein neuer Show-Trend in Berlin zu besichtigen: die New Burlesque. In Sachen schrille Sexyness und kalauernder Humor gibt es aber noch etwas von den US-Vorbildern zu lernen
VON HEIKE RUNGE
Lange Zeit galten sie als tot. Nicht überlebensfähig in Konkurrenz mit Videos und Webcams: Striptease-Shows mit Damen, die sich umständlich entblättern, gehörten symbolisch in die verklemmten und heimtückisch-sexistischen 50er. Seit einigen Jahren erlebt der Striptease insbesondere in seiner amerikanischen Heimat nun ein Revival – in Form der Burlesque. In der Burlesque, einer skurril-erotischen Tanzvariante des Strip, geht es weniger um perfekte Körper und Bewegungen, sondern um den Spaß an der Sache: Frauen ziehen sich aus, nehmen sich und ihre lasziven Posen dabei aber nicht besonders ernst. Ehrwürdige Ikonen der Burlesque sind die Fifties-Diven Betty Page, Dixie Evans und Tempest Storm, auf die sich auch die New Yorker Star-Performerin Lady Ace bezieht.
Rolemodels haben die Teaserettes, laut Presseerklärung „Deutschlands erste Tanzgruppe der New Burlesque“, also eine ganze Reihe. Was die tagsüber mit Archäologie-Studium und PR-Management beschäftigten fünf Berliner Frauen neben der Verehrung für Sexgöttinnen der Fünfziger eint, ist die Liebe zu Tattoos, Hochsteckfrisuren und den Dresscodes des Rockabilly. Die Gruppe gründete sich im April 2005 und tingelte kurz durch Berliner Clubs. Jetzt sind die Newcomerinnen schon in der Bar jeder Vernunft gelandet, der sicheren Adresse für kalkulierte Experimente in der Unterhaltungskunst. Die Erwartungen an die von Andreja Schneider (Geschwister Pfister) inszenierte Tease-Show „Bumps and Grinds“ sind also hoch: Die Stadt wartet auf den Ausbruch des Burlesque-Fiebers.
Rolf Eden sitzt als Sachverständiger im Premierenpublikum. Keine der Tänzerinnen allerdings dürfte dem Ideal des Altplayboy wirklich entsprechen: Das Sympathische an der Burlesque ist ja gerade, dass sich keine Mädchen mit Modelmaßen auf der Bühne räkeln. Und vollständig ausgezogen wird sich in der Burlesque auch nicht: Der String bleibt an, die Brustwarzen sind mit Pasties abgeklebt. Sexuelle Klischees sollen nicht bedient, sondern ironisiert werden.
Dafür ist das Showkonzept dann überraschend konventionell. Jede der fünf Teaserettes stellt eine Figur dar, die von Conférencier Victor Schéfe als Mr. Richard Smoker mit dezenter Schmierigkeit und immer hübsch der Reihe nach vorgestellt wird. Litschi Lu (Antje Brameyer) ist eine traumatisierte Asiatin, die ihre getragenen Schlüpfer verhökern muss. Während der Conférencier ihre Geschichte zum Besten gibt, zieht Litschi sich mit der Todesverachtung einer Frau aus, die schon als Kind im chinesischen Staatszirkus vortanzen musste. Eine Figur, eine Vita, ein Strip. Und so weiter: Miss Behave ist eine gefallene Nonne und strenge Domina; Bunny Clyde ein Gangsterliebchen; Cherry Temple ein gescheiterter Kinderstar und Sandy Beach die Puffmutter. Für die musikalische Untermalung der Kurzperformances sorgen abwechselnd Stücke vom Band und die Drei-Frauen-Combo The Cigarettes – durchweg mit Erotik-Prüfsiegel à la „Teach Me Tiger“.
Sandra Steffi als Sandy Beach ist die Rampensau der viel zu zahmen Gruppe. Wuchtig, komisch und hübsch sexy verkörpert sie weibliches Selbstbewusstsein und sexuelle Unbekümmertheit. Wenn Sandy ein Baguette als Umschnalldildo missbraucht oder mit der Sektflasche ins Publikum ejakuliert, ist das genau die Art von Parodie, die Spaß macht und zumindest für den Moment Geschlechterrollen sprengt. Zotig bis obszön soll es zugehen in der Burlesque. Aber die Ansagen des feinsinnigen Conférenciers haben es nur selten mit den krachenden Kalauern. Die legendäre Figur des Witzerzählers in der Table-Dance-Bar lässt er nur kurz aufscheinen, als er die Truppe einer strengen Sekte der Mormonen zuordnet: den Hormonen.
Das alles ist bis hierher für einen tollen Abend zu wenig – zu wenig Witz, zu wenig Show, zu wenig Sexyness. Was in der Intimität kleiner Clubs funktionieren mag, schlägt im weiten Rund des Spiegelzelts nicht so richtig Funken. Dann aber kommt mit dem Gastauftritt von New Burlesque-Großmeisterin Lady Ace doch noch ein richtiges Highlight. Im Unterschied zu den Teaserettes ist sie ein Profi, die einige Jahre Erfahrung im Heimatland des Strip auf dem schmalen Rücken hat. Bei ihrem Auftritt wird es endlich laut, schnell und schrill. Sie trägt David Bowies Fransenschnitt aus den Achtzigern, dazu ein rosa Korsett samt schwarzen Puscheln an den Brustwarzen. Stürmt die Bühne mit einer Kamera bewaffnet, fotografiert den eigenen spargeldünnen Luxuskörper und wirft die Polaroids ins Publikum. Ihre Performance schöpft aus dem Vollen und mixt Vaudeville mit Body Art, Go-go, Gender Dressing, Comedy, Punk und Riot.
Sich zu zeigen und zu entblößen ist bei Lady Ace ein aggressiver Akt und eine Demonstration der Macht über die Blicke des Publikums. Da leuchtet es im Flacker-Schwarzlicht also auf, das versprochene Statement weiblicher Autonomie, das alle Verfügbarkeitsfantasien aus den Köpfen vertreibt. Von der großen Schwester aus Amerika kann der Berliner Burlesque-Nachwuchs noch einiges lernen.
Bis Ende April immer freitags und samstags (außer 23./24. und 30./31. 12.) um 24 Uhr, Bar jeder Vernunft, Schaperstr. 24