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Archiv-Artikel

Zuverdienst im Notarzt-Wagen

Nach den niedersächsischen wollen nun auch die Bremer niedergelassenen Chirurgen nur noch im Notfall ambulante Operationen durchführen, Streikziel: eine bessere Bezahlung. Kassen winken ab

Bremen taz ■ „Natürlich verdienen wir mehr als ein Installateur“, sagt Stefan Böhm: „Aber das möchten wir auch.“ Böhm ist Narkosearzt, und zwar mit einer eigenen Praxis. Vor zwölf Jahren hat er die Klinik verlassen und sich den ambulanten Operationen verschrieben: einer kostengünstigen Behandlung, weil ohne langen Krankenhausaufenthalt, und von Politik und Krankenkassen entsprechend begünstigt.

Seit Mittwoch aber hat Böhm am OP nicht mehr so viel zu tun. Als Landesvorsitzender der Gesellschaft für ambulantes Operieren e. V. und im Namen seiner KollegInnen kündigte er an, bis auf Weiteres nur noch im Notfall zu operieren. Die Vergütungsregelung, deren Details VertreterInnen der Kassenärztlichen Vereinigung und der Bremer Krankenkassen derzeit aushandeln und die im Januar in Kraft treten sollen, bedeute empfindliche Einkommenseinbußen für die niedergelassenen OperateurInnen. „Ich bin verzweifelt“, sagt der Arzt.

Nach seinen Angaben kommt eine in Bremen niedergelassene ÄrztIn, die ambulante Operationen durchführt, derzeit auf bis zu 78.000 Euro Einkommen im Jahr. Schon 2006 aber, fürchtet Böhm, könnte davon nur noch wenig übrig bleiben. Denn die Punkte, welche die ambulanten Operationen den ÄrztInnen einbringen, sollen statt bisher mit 4,8 Cent künftig nur noch mit 4,2, in Spezialpraxen mit 4,6 Cent vergütet werden – ein Minus von 12 beziehungsweise vier Prozent.

Schon jetzt jedoch, sagt Böhm, müssten die niedergelassenen OperateurInnen vier Fünftel ihrer Einnahmen sofort wieder ausgeben: für Praxisräume, Personal, OP-Saal und medizinische Geräte. Diese Kosten ließen sich nicht senken. Das vergleichsweise geringe Einnahmen-Minus schlage daher voll auf das verbleibende Einkommen durch. Je nachdem, ob die ChirurgInnen und AnästhesistInnen in einer der besser bezahlten Spezialpraxen arbeiten oder nicht, würde sich ihr Einkommen nach dieser Rechnung um 30 bis 85 Prozent reduzieren. Böhm: „Da ist eine Grenze erreicht, die wir nicht mehr ertragen können.“

Jörn Hons von der AOK Bremen/Bremerhaven hält das für übertrieben. Zwar erhielten die Ärzte mit dem Skalpell oder der Narkosemaske nach den neuen Vergütungsregelungen tatsächlich weniger Geld pro Leistungspunkt. Im Gegensatz zu den Punkten, nach denen etwa Hausärzte ihre Leistungen abrechnen, sei der Wert eines Operationspunktes aber verbindlich festgelegt. Nach diesen vorteilhafteren festen Werten könnten die ambulanten OperateurInnen künftig zudem wesentlich mehr Leistungen abrechnen als bisher. Die neue Regelung, fasst Hons die Intention der Vereinbarung zusammen, „soll die ambulante Operation bewusst fördern“.

30 Prozent der betroffenen Ärzte, sagt Hons, habe der Regelung schon jetzt zugestimmt, weitere würden folgen. Einen Versorgungsengpass werde es nicht geben. Zur Not könnten auch Krankenhäuser ambulant operieren.

„Die Kassenärztliche Vereinigung bedroht uns in unserer Existenz“, sagt dagegen Böhm. Ärzte, die sich jetzt auf die neuen Regelungen einließen, würden spätestens in einem Jahr vor dem finanziellen Aus stehen.

Für sich selbst hat Böhm inzwischen konkrete Gegenmaßnahmen ergriffen. Statt in der eigenen Praxis an der Parkallee verbringt er manchen Nachmittag im Notarzt-Wagen in Zeven. Er sagt: „Ich verdiene mir ein Zubrot.“ Armin Simon