Mobiles Kino: Kino auf Bambusstäben

Seit elf Jahren organisiert der Hamburger Verein „A Wall is a Screen“ Kurzfilm-Touren. Bürofassaden werden zu Filmleinwänden, Passanten zu Darstellern. Und das nicht nur in Hamburg sondern auch in Odessa und Mumbai.

Die Wände den Filmen: Sylvia Grom, Sarah Adam, Peter Stein und Sven Schwarz (v. l.) im "A Wall is a Screen"-Büro. Bild: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Eine Sackkarre, gelbe Postkästen, Metallkoffer, ein Fernseher älterer Baureihe, Bierkästen und eine Weltkarte an der Wand, übersät mit Stecknadeln, die alle Stationen des bisherigen Wirkens zeigen. Im Ottensener Büro des Vereins „A Wall is a Screen“ herrscht ein kreatives Konglomerat. Die sechs Mitglieder Peter Stein, Peter Haueis, Sabine Horn, Sven Schwarz, Sarah Adam und Sylvia Grom arbeiten auch hauptberuflich in der Film- und Fotobranche und sind größtenteils beruflich mit der im Haus ansässigen Hamburger KurzFilmAgentur oder dem KurzFilmFestival verbandelt.

Vor elf Jahren hatte Peter Stein, der die Videotechnik am Deutschen Schauspielhaus betreut und zudem technischer Leiter des KurzFilmFestivals in Hamburg ist, zusammen mit zwei Kolleginnen eine Idee. „Wir machten zwar Kino in Kinos, aber wir wollten etwas draußen machen“, erinnert er sich heute „ Es ist netter draußen“. So entstand nicht nur eine Idee und sondern auch eine Mission: Auf einem Spaziergang durch eine Stadt Kurzfilme zu zeigen. Abends eine leblose Bürofassade in eine Leinwand zu verwandeln und sie so mit dem Film verschmelzen zu lassen. Die Filmromantik in vergessenen Ecken einer Stadt hat durchaus einen politischen Hintergrund. Hamburg ist ein gutes Beispiel. So möchte der Verein die rein kommerziell genutzten Bürogebäude für etwas anderes, nichtkommerzielles nutzen. Die erste Tour 2003 „mit Ghetto-Bluster und fiesem Beamer“ führte in eine hochpreisige Konsummeile -dem Neuen Wall, wo die Fassade eines Designer-Geschäfts in die Leinwand für einen Kurzfilm über das Frankfurter Drogen-Milieu verwandelt wurde.

Auf den „A Wall is a Screen“ – Touren werden in der Regel neun rund zehnminütige Kurzfilme gezeigt und das an Fassaden, die einerseits einen Bezug zum Film herstellen und andererseits versteckt abseits der herkömmlichen Sehenswürdigkeitspfade einer Stadt liegen. Die Zuschauerzahlen variierten zwischen 150 und 1.500, wobei letztere Zahl schon hohes Improvisationstalent erfordert. Die Veranstaltung ist für jeden zugänglich und kostenlos. Trotzdem der Verein kaum Werbung für seine Film-Touren macht, wächst die Fangemeinde und das international. Auf dem Reeperbahnfestival sowie dem Internationalen Kurzfilm Festival Hamburg entdeckten Veranstalter die Filmkünstler und fragten die sechs Cineasten für eigene Festivals an. Kurzfilme beleben seitdem nicht nur Häuserfassaden in Deutschland sondern auch in Palästina, Finnland, Indien oder Mazedonien.

Das Faszinosum für Macher und Zuschauer ist das Unerwartete. Die Filmvorführungen lassen sich nur partiell planen, viele Variablen bleiben. Von schwierigen Witterungsverhältnissen und nicht einschätzbaren Zuschaueraufkommen abgesehen, waren geplante Fassaden-Leinwände plötzlich von Bauplanen umhüllt oder ein Feuerwerk übertönte die Vorführung. In Berlin kesselte eine Hundertschaft der Polizei einige Hundert Filmzuschauer im Regierungsviertel während eines Kurzfilms über die Birthler-Behörde ein, weil scheinbar die Genehmigung der Veranstaltung nicht vorlag. Nun war die Vorführung aber der offizielle Beitrag der Stadt Hamburg zum sechzigjährigen Bestehen des Grundgesetzes. Die Genehmigung kam doch noch an, von einer Anzeige wurde abgesehen. Die Hundertschaft verlieh dem ohnehin schon beklemmenden Film noch ein wenig mehr Beklemmung.

Dass eine Mauer nicht nur eine Leinwand sondern das Leben auch ein Film ist, zeigt Helmut. Auf einer Tour durch Hamburg wurde der Kurzfilm „Ich bin es Helmut“ auf den gediegenen Hamburger Übersee-Club an der Binnenalster projetziert. Der surreale Film handelt von einem 57-Jährigen namens Helmut, der sich plötzlich auf seinem eigenen 60. Geburtstag wiederfindet. An diesem „A Wall is a Screen“ -Abend verschwanden hin und wieder festlich gekleidete Gäste in Smoking und Abendkleid in der Leinwand, sprich im Inneren des Übersee-Clubs. Nach kurzer Zeit erkundigte sich eine Frau der Festgesellschaft, ob der gerade laufende Film wirklich von jemandem handle, der Helmut hieß und Geburtstag hätte. Genauso wie der Jubilar im Übersee-Club. Als das Geburtstagskind durch die Leinwand auf die Straße trat, applaudierten 400 Zuschauer und riefen Happy Birthday. Ein unbezahlbarer Moment, der die Leinwand noch ein wenig lebendiger machte.

„Das was wir machen funktioniert in Ramallah genauso gut wie in Helsinki, Mumbai oder Regensburg“, so Sarah Adam. Was reizt die Macher von „A Wall is a Screen“, einen Großteil ihrer Freizeit in dieses Projekt zu investieren? Die hauptberufliche Fotografin Sylvia Grom beschreibt es so:“Die Kombination loszuziehen, durch eine fremde Stadt zu laufen und neue Wände zu suchen, sich die Filme überlegen und dann noch ein dankbares Publikum vorzufinden.“ Sylvia war lange ein großer Fan der Kurzfilm Touren. Seit einem Jahr ist sie jetzt Teil der Gruppe und „scoutet“ Fassaden auf der ganzen Welt, durchforstet das „A Wall is a Screen“ -Archiv von über 900 Kurzfilmen sowie die für die Vorführungen zur Verfügung gestellte Datenbank der KurzFilmAgentur mit rund 40.000 Werken. Die Arbeitswerkzeuge, die der Gruppe komplett autarkes Arbeiten ermöglichen sind schnell aufgezählt: Sackkarre, Metallkoffer mit Abspieltechnik, Lautsprecher, Beamer, Lautsprecher-Stative, Stromgenerator oder Batterie.

Gereist wird immer zu dritt. Mehr wäre finanziell den Gastgebern nicht zumutbar. Vor Ort finden sich immer Helfer und Improvisationsmöglichkeiten. So verlieh ein indischer Straßenkehrer schon seinen Karren für den Transport der Arbeitsutensilien oder die Oper von Odessa ihre Lautsprecher. Neben vielen Freundschaften sind auch ganz eigene Einblicke entstanden. So haben die Filmkünstler gelernt, dass es in England keine Bierkästen aus Plastik gibt, die den Beamer hätten stützen können, sondern nur robuste Milchkästen, die wiederum nicht in Kneipen vorzufinden sind.

„Es gibt immer noch Leute die glauben, dass wir guerillamäßig durch die Städte ziehen und dann spontan an Häuserwänden unsere Filme zeigen.“, sagt Sven Schwarz, der hauptberuflich als Veranstaltungsleiter des Hamburger KurzFilmFestivals arbeitet. „Das Ganze ist durchplant. Auch liegen uns die Genehmigungen der jeweiligen Stadt vor. Das merken die Leute nicht unbedingt, was wir gut finden.“ So bleibt Kleinfilmkino abseits der filmischen und touristischen Hauptstraßen mit Bambusstäben als Stative und Straßenkehrer-Karren als Transportmittel. Letzterer schmückt jetzt auf einem Foto die Büropinnwand in Ottensen.

Infos: , Geplante Kurzfilm-Touren in Hamburg: 24.05. und 06.06.2014
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