: berliner szenen Am Flipper
Der High Score
Sonntagabend, wie immer. Der Flipper war komisch heute. Seine Anzeige war französisch. Er schrieb „bille“ statt „ball“, obgleich er einen weiter auf Englisch verhöhnte: „You call that a shot – hahaha.“ Und für zwei Euro gab es nur noch drei anstatt der bislang fünf Spiele. Flippern in Frankreich ist nämlich teurer. Wahrscheinlich wollte der für die Wartung zuständige Ingenieur mit der Französisierung auf die Unruhen anspielen. Ich fühlte mich wie im Urlaub, als ich mit J. da stand. Als Teenagerin war sie immer am „Centaur“ gewesen und brauchte nun ein paar Kugeln, um ihr altes Wissen zu reaktivieren.
Komisch, mit jemandem zum ersten Mal zu flippern. Jeder macht das in Details anders. Person und Gerät bilden etwa unterschiedliche Winkel; manche schieben, manche schubsen, manche schlagen, manche drücken sanft nur auf die Knöpfe. Jeder spielt auch immer irgendwie anders mit anderen.
An diesem Sonntag war ich jedenfalls klasse. Vielleicht, weil das Wochenende so mies gewesen war, hatte ich endlich verstanden, dass Wochenende und ich unterschiedliche Kategorien bilden und dass ich nicht mehr mit dem Wochenende, sondern mit J. am Gerät stand.
Vieles wurde abgeräumt, Multibälle flogen mir nur so um die Ohren, die Schreckensherrschaft der in und über uns herrschenden Zeit war für einen Moment gebrochen. Taoisten nennen das „Wu-shin“. Von weitem hatte ich J.s Stimme gehört: „Gleich hast du den Highscore.“ Und wie durch Watte hatte meine Stimme geantwortet: „Ich hab’ ihn ja schon.“ Das Leben, die Kugel, „le bille“ war mein Freund. Wie zum Spaß spielten wir immer weiter. Eigentlich hätte ich den letzten Ball auch noch kriegen können. DETLEF KUHLBROD