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Archiv-Artikel

„Eltern einbinden“

Schulen werden bei der Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund allein gelassen, sagt Özcan Mutlu

taz: Herr Mutlu, was läuft schief bei der Förderung der Kinder aus zugewanderten Familien?

Özcan Mutlu: Die Schulen sind überfordert und werden von der Verwaltung allein gelassen. Es sind gerade mal 600 Kinder, die vorschulischen Deutschunterricht bekommen. In Berlin gibt es 140 Extra-Lehrerstellen für sozial benachteiligte Gebiete und 120 für Klassen mit einem Migrantenanteil von über 40 Prozent – bei circa 900 Schulen. Das ist zu wenig. Außerdem gibt es so gut wie keine Evaluierung, welche Unterstützungsmaßnahmen wirklich helfen.

Und wo klappt es?

Es gibt Schulen mitten in so genannten sozialen Brennpunkten – wie die Heinrich-Zille in Kreuzberg oder die Spreewaldschule –, die es schaffen, auch bildungsbewusste Eltern zu binden. Sie machen vielfältige und gute Angebote.

Treten Sie etwa für die freie Schulwahl ein?

Nein. Ich bin für Schulsprengel, eine Ausweitung der Einzugsgebiete, in denen mehrere Schulen mit unterschiedlichen Profilen kooperieren und die Eltern eine Wahlfreiheit haben.

Also mehr Konkurrenz unter den Schulen?

Nicht Konkurrenz – Kooperation. Schulen müssen miteinander und mit ihrem Umfeld kooperieren. Die Schule der Zukunft ist der Mittelpunkt des Stadtteils, ein Stadtteilzentrum, das offen für alle ist. Eltern sollen sich mit der Schule identifizieren können. Das gibt den Kindern das Gefühl: Bildung zählt etwas, denn meine Eltern kümmern sich drum.

Viele Eltern kehren den Schulen mit hohem Anteil von Migranten aber lieber ganz den Rücken.

Ja. Sie entscheiden mit den Füßen, und zwar längst nicht mehr nur deutsche Eltern. Aber gesamtgesellschaftlich gesehen ist das keine Lösung. Es bedeutet nämlich, sich mit Gettos abzufinden und auch mit Parallelgesellschaften. Doch spätestens wenn diese Gettos explodieren, wird es zu unser aller Problem.

Was schlagen Sie vor?

Ich finde es ja auch die staatsbürgerliche Pflicht eines jeden, nicht den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Man muss die Schulen, die sich bewegen, unterstützen. Darum haben wir die Bildungskampagne „Ich will’s wissen“ gestartet. Wir brauchen eine Lernkultur, die der heterogenen Schülerschaft und den Realitäten der Gesellschaft gerecht wird. Dreh- und Angelpunkt ist die Qualität und individuelle Förderung. Jedes Kind ist begabt, wir müssen alle Begabungen fördern. INTERVIEW: ALKE WIERTH