piwik no script img

Archiv-Artikel

Die Invasion der Presselandschaft

GROSSBRITANNIEN Zeitungen und Blogger wehren sich gegen eine schärfere Kontrolle

Die neue Presseaufsicht in Großbritannien erlebt einen schlechten Start. Kaum hat sich die Politik geeinigt, wollen die Zeitungen schon abspringen und fürchten die Blogger Strafen. Sie haben über die Lords im Oberhaus noch in letzter Minute Änderungen eingebracht.

In wesentlichen Punkten folgt die Regierung den Vorschlägen des Leveson-Ausschusses, die den Phone-Hacking-Skandal untersucht hat. Vor zwei Jahren war herausgekommen, dass Mitarbeiter der News of the Wolrd Telefone und Anrufbeantworter von Prominenten, Angehörigen von in Afghanistan getöteten Soldaten sowie eines vermissten und später ermordet aufgefundenen 13-jährigen Mädchens angezapft hatten. Der Verleger Rupert Murdoch hatte die Zeitung daraufhin geschlossen. Ähnliche Fälle wurden auch bei anderen britischen Medien bekannt.

Die neue Aufsicht soll bissig und rechtlich gestützt sein. Nicht ein freiwilliger Vermittler, wie es die Press Complaints Commission (PCC) in den vergangenen 20 Jahren war.

So etwas habe es seit der Abschaffung der Presselizenzen im 17. Jahrhundert nicht mehr gegeben, empörte sich prompt der Telegraph. Die Sun verkündete titelseitig „D-Day“, Invasion und letztes Gefecht um die Pressefreiheit. Die Daily Mail lamentierte, das schlüge einen Nagel in den Sarg des vom Internet bedrohten Zeitungsgeschäfts.

Die größten Zeitungsverlage, Murdochs News International, der Verlag des Telegraph und der Inhaber der Daily Mail, haben angekündigt, die Aufsicht gemeinsam zu boykottieren.

Blogger sind mit dem Gesetzentwurf ebenfalls unzufrieden. Es sei unklar, welche Kosten auf Blogger zukämen, sagt Sunny Hundal von Liberalconspiracy.org. Falls Blogs der Presseaufsicht unterstünden, müssten sie sich vielleicht an deren Finanzierung beteiligen. Aber in welcher Höhe? Die Blogger haben sich mit Politikern getroffen, um von der Aufsicht besser ganz ausgenommen zu werden. Lord Tom McNally, Führer der Liberaldemokraten im Oberhaus und Justizstaatssekretär, hat daraufhin am Dienstag angekündigt, am Gesetz nachbessern zu wollen.

Drei zentrale Punkte der Reform stehen aber fest. Erstens wird die neue Aufsicht quasigesetzlich untermauert, mittels einer königlichen Urkunde. Dagegen hatten die Verlage den meisten Widerstand geleistet.

Zweitens reguliert der Staat nicht selbst, er reguliert aber die Regulierer. Die Presse soll eine Aufsicht entwerfen, die dann staatlich anerkannt wird.

Drittens ist die Beaufsichtigung weder verpflichtend noch freiwillig. Der Staat setzt statt dessen Anreize, sich der Aufsicht zu unterwerfen. Wer sich nicht beteiligt, dem drohen weitaus höhere, „exemplarische“ Strafen, wenn eine Sache vors Gericht geht.

Das neue britische System wäre ein Hybrid zwischen freiwilliger Selbstkontrolle, sogenannter Peer-Regulierung, und Koregulierung. In Deutschland und Finnland regelt sich die Presse freiwillig selbst. Eine Koregulierung der Presse findet sich etwa in Dänemark.

In Frankreich oder den USA gibt es hingegen nicht einmal eine freiwillige Selbstkontrolle der Medien. Dort haben die Zeitungen ihre Ombudsmänner, für den Rest sind die Gerichte zuständig.

In Dänemark, wo jede Zeitung der gesetzlich geregelten Aufsicht untersteht, wurde dieses System 1991 gerade mit der Absicht geschaffen, diese Fälle aus den Gerichtssälen herauszuhalten.

So verschieden die Aufsichten sein mögen, sie sind auf ähnliche Art entstanden. Von 1916 in Schweden über Deutschland 1956 bis hin zu Irland im Jahr 2007 und Australien, wo gerade einen Reform stattfindet, sei es immer wieder die Drohung der Politik gewesen, auch härtere Mittel im Angebot zu haben, die eine Reform in Gang brachte, sagt Lara Fielden vom Reuters Institute an der Universität Oxford.

Die PCC, die seit 1991 in Großbritannien in freiwilligem Rahmen die Presse beaufsichtigt, sei in ihrer täglichen Arbeit durchaus erfolgreich gewesen, sagt Fielden. Bei rund 7.000 Beschwerden pro Jahr vermittelte sie zwischen Lesern und Medien und beriet Betroffene. Aber im Phone-Hacking-Skandal versagte die PCC. Seitdem gilt sie nur noch als Zwischenlösung.

JOHANNES HIMMELREICH, LONDON