Düstere Vorahnungen: Der Tod als Maschinist

Vor 50 Jahren starb der Hamburger Schulreformer Wilhelm Lamszus. Nun widmet sich eine Ausstellung seinem Roman „Das Menschenschlachthaus“.

Baute in den Weimarer Jahren die Reformpädagogik aus - und wurde 1933 unverzüglich aus dem Schuldienst entlassen: der Hamburger Wilhelm Lamszus. Bild: Sammlung Willi-Bredel-Gesellschaft

In Hamburg-Altona geboren, am 13. Juli 1881 war das. Im benachbarten St. Pauli aufgewachsen, zur Schule gegangen – und Lehrer geworden. Hamburger, sein Leben lang – so wie er auch ein Leben lang geschrieben hat. Nun sind Wilhelm Lamszus’ Lebenserinnerungen wieder erhältlich, versammelt in einem materialreichen Buch.

Wenn man den Namen schon gehört hat, dann als Autor von „Das Menschenschlachthaus“. 1912 publiziert, beschreibt der schmale Roman die Schrecknisse des Ersten Weltkrieges – nicht aus der Erfahrung heraus, sondern gewissermaßen vorausahnend, analysiert Lamszus den technologischen Umbruch durch den Einsatz technisch immer effektiverer Waffen: „Es ist, als ob der Tod die Sense auf das alte Eisen geworfen hätte, als ob er nun ein Maschinist geworden wäre. Das Korn wird nicht mehr mit der Hand gemäht. Man ist vom handwerklichen Kleinbetrieb zum industriellen Großbetrieb übergegangen.“

Innerhalb der ersten drei Monate verkauften sich 100.000 Bücher. Die SPD bot auf ihrem reichsweiten Parteitag 1913 20.000 Exemplare verbilligt an (und stimmte ein Jahr später trotzdem den Kriegskrediten zu). Dem Autor bescherte es nicht nur Freunde, in Lamszus’ Heimatstadt war das Buch zeitweise verboten. Die Hamburger Schulbehörde dachte sich etwas Besonderes aus: Sie schickte ihn auf eine Recherchereise, um die Situation der Deutschen in der französischen Fremdenlegion zu untersuchen – in Nordafrika, und das ohne Gehalt.

Zurück in Deutschland, baute Lamszus in den Weimarer Jahren die Reformpädagogik aus. Unterrichtete, publizierte, knüpfte ein Netz mit geistesverwandten Pädagogen. 1920 wurde er Versuchsschullehrer in Hamburg-Barmbeck. Zehn Jahre später gründete er die Gemeinschaftsschule „Meerweinschule“. 1933, nach der NS-Machtergreifung, wurde er sofort aus dem Schuldienst entlassen und überstand die folgenden Jahre offiziell zurückgezogen in seinem Haus in Hamburg-Groß Borstel; für den Lebensunterhalt sorgte sein Schwiegervater, auch Lehrer.

Nach Krieg und Befreiung stürzte Lamszus sich sofort wieder auf die Pädagogik: Ihn interessierte das Medium Radio, er konzipierte Sendungen für Kinder, spielte sie mit ihnen ein. Interessiert schaute er auch ins andere Deutschland, aus dem nach und nach die DDR erwuchs: Vielleicht gäbe es dort ja zu unterstützende schulreformerische Kräfte. Lamszus erhielt die Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität, Ost-Berlin, konnte jedoch nicht übersehen, dass in Ostdeutschland jegliche reformpädagogischen Ansätze verschwanden. Hier wie dort machte sich der Geist des Kalten Krieges breit, nun sein großes publizistisches Thema, das 1964 in das Theaterstück „Der Präsident wollte auf den Atomknopf drücken“ münden sollte.

Auch mit der bundesdeutschen Wirklichkeit machte er so seine Erfahrungen. Im November 1951 stellte er in Hamburg beim Amt für Wiedergutmachung einen Antrag: Er habe schließlich zwölf Jahre nicht publizieren und unterrichten dürfen. Jahre lang passierte nichts. 1955 erlitt Lamszus eine Gehirnblutung und erbat wenigstens einen Vorschuss, um eine Kur zu finanzieren. Er war schon 74, da fragte das Amt nach Unterlagen – er lieferte. Die Schulbehörde etwa, einstiger Arbeitgeber des Antragstellers, bescheinigte seine Aussagen in allen Einzelheiten. Am Ende wurde der Antrag abgelehnt: Es reiche nicht, dass Lamszus sich dem Regime nur passiv verweigert habe.

Mittlerweile bezeugten Freunde, dass man sich von 1933 an in verschiedenen Wohnungen heimlich getroffen und „Feindsender“ gehört habe. Mehr als das: Ein Redakteur des Hamburger Anzeigers – vor dem Krieg die auflagenstärkste Zeitung der Stadt – konnte von Artikeln berichten, die Lamszus während der NS-Jahre unter Pseudonym verfasst hatte. Seine Beiträge über Schulprobleme, aber auch über die Hexenverfolgung hätten sich als geschickte Angriffe gegen das nationalsozialistische Ideologiengebäude lesen lassen.

Er selbst wurde nicht müde, weitere Zeugen aufzutreiben, die zum Teil persönlich eingeladen werden, zur „Vernehmung“, wie es in den amtlichen Schreiben heißt. Schließlich wandte er sich an den Hamburger Senat, bat um Anwendung des Härteparagrafen. Nach einer Ablehnung einigte man sich auf einen Vergleich, und Lamszus wurde wenigstens halbwegs entschädigt.

Ziemlich genau vor 50 Jahren, am 18. Januar 1965, ist Wilhelm Lamszus in Hamburg gestorben. Mag sein, dass manche Passagen seiner nun wieder zugänglichen Autobiografie gediegen wirken, vielleicht altmodisch. Aber der Text erzählt auch immer wieder sehr plastisch vom Leben eines engagierten Pädagogen. Besonders seine Statements zu Schule und verordnetem Lernen wirken immer wieder sehr frisch: „Versetzen wir uns doch mal in die Situation des Schülers im Aufsatzunterricht“, heißt es da etwa. „Er darf nicht zu seinem Lehrer sagen: Das Thema liegt mir nicht. Ich möchte mich nicht dazu äußern, weil ich nichts Wesentliches mitzuteilen habe“.

■ Andreas Pehnke (Hg.), „Wilhelm Lamszus – Erinnerungen eines Schulreformers und Antikriegsschriftstellers 1881–1965“; Sax Verlag, 262 Seiten, 24,80 Euro ■ Ausstellung „’Das Menschenschlachthaus‘: Vorahnungen des Ersten Weltkrieges in Literatur, Kunst und Wissenschaft“: bis 27. 2., Bibliothek der Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg. Vortrag „Kriegserwartungen, Kriegsromane, Kriegsphantasien vor 1914“ mit Kurt Möser: Do, 29. 1., 18 Uhr, ebd.
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