: Kir Royal und Massenmord
DIE SCHRECKLICHE TANTE Der Thyssen-Bornemisza-Clan und das ungesühnte Massaker an 200 jüdischen Zwangsarbeitern im österreichischen Rechnitz 1945
Die Recherchen des Journalisten David L. Litchfield störten ab 2007 empfindlich die gemütliche Ruhe im Hause Thyssen-Bornemisza. Der englische Journalist machte über die FAZ prominente Mitglieder der Thyssen-Dynastie mitverantwortlich für ein 1945 begangenes Massaker im österreichischen Rechnitz. 200 jüdische Zwangsarbeiter wurden ermordet. Aus einer Party der Gräfin Margit Batthyany (geb. Thyssen-Bornemisza) heraus, woran Litchfield erinnerte. Das Massaker ist unbestritten. Der Rest nicht. Der Schweizer Tages-Anzeiger-Journalist Sacha Batthyany ging nun der Frage nach, warum seine Familie bis heute zu dieser Geschichte schweigt. Dies wird auch im Schauspielhaus Zürich am Montag diskutiert, die taz wird berichten. FAN
VON RUDOLF WALTHER
Historiker und Journalisten, die mit unorthodoxen Mitteln arbeiten, untergraben damit oft selbst ihre Glaubwürdigkeit, woraufhin man ihnen schnell auch jene Verdienste abspricht, die sie ohne Zweifel haben – trotz der Fehler forscher Annahmen. Als Opfer eines solchen selbst gewählten Außenseitertums sieht sich der englische Journalist David T. L. Litchfield. In den 1990er-Jahren lernte er in London den Kunstsammler und Lebemann Hans Heinrich („Heini“) Thyssen-Bornemisza und dessen Tochter Francesca kennen. In einem taz-Interview (8. 11. 2007) bemerkte er zu den Umständen, unter denen seine Thyssen-Biografie entstand, salopp: „Wenn ich ein klassischer Historiker ohne Sonnenbrille gewesen wäre, wäre mein Buch gar nicht entstanden. Ich habe mich mit ihnen [den Thyssens; d. A.] betrunken, war auf ihren Partys und habe nächtelang mit Heini über seine Familie geredet.“ Bei seinen Recherchen zur Familie Thyssen stieß der „Boulevardjournalist“ schließlich auf ein ungesühntes Verbrechen, das Massaker an 200 jüdischen Zwangsarbeitern in den letzten Kriegstagen im österreichischen Rechnitz, und erinnerte so an das nie aufgeklärte Verbrechen. In der Folge entspann sich eine Feuilletondebatte, Elfriede Jelinek schrieb das Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“, das aktuell in Zürich inszeniert wird. Letzter Beitrag: eine 22-seitige Riesenstory im Magazin des Zürcher Tages-Anzeigers. Schließlich geht es um großes Geld, alten Adel und das Aussitzen von Schwerverbrechen unter tätiger Untätigkeit staatlicher Behörden.
Die Geschichte beginnt bei Kriegsende im österreichischen Burgenland. Das Naziregime ließ im März 1945 rund tausend ungarische Juden dort hinschaffen, wo sie den Südostwall bauen sollten. Rund 200 der jüdische Zwangsarbeiter wurden in Rechnitz „ausgesondert“, weil sie nicht mehr arbeitsfähig gewesen seien.
Das Schloss Rechnitz gehörte seit 1906 dem deutschen Großindustriellen Heinrich Thyssen, der verheiratet war mit der Gräfin Margareta Bornemisza de Kászon. Der Industrielle lebte nicht lange dort, sondern siedelte in die Niederlande und 1932 ins Tessin in der Schweiz über, wo er sich mit seinem Vermögen (u. a. aus den Kriegsprofiten von 1914/18) als Kunstsammler betätigte. Seine 1911 geborene Tochter Margit heiratete 1932 den verarmten ungarischen Grafen Iván Batthyány, mit dem sie bis gegen Kriegende auf Schloss Rechnitz lebte.
Hier einquartiert waren ihr Geliebter und Gutsverwalter Joachim Oldenburg sowie der NSDAP-Ortsgruppenleiter und dortige Gestapo-Chef Franz Podezin. Am 24. März 1945 luden diese beiden Herren und Margit Batthyany-Thyssen zu einem „Gefolgschaftsfest“ auf das Schloss. In dessen Verlauf verließ ein Teil der Gäste zeitweilig die Party und ermordete zwei Kilometer vom Schloss entfernt 180 jüdische Zwangsarbeiter an Gruben, die zwanzig Häftlinge zuvor ausgehoben hatten. Nach dem Massaker kehrten die Täter auf das Schloss zurück und feierten weiter. Am nächsten Morgen wurden auch jene zwanzig Juden ermordet, die die Gruben ausgehoben hatten.
Kurz nach dem Verbrechen eroberten sowjetische Truppen Rechnitz, das Schloss brannte ab. Die Sowjets untersuchten die Ereignisse der Massakernacht im März und erstellten einen Lageplan des Massengrabs. Doch der Plan verschwand, und das Massengrab wurde bis heute nicht gefunden. Die Geschichte ist von weiteren skandalösen Eigentümlichkeiten begleitet, wie nun im Dezember auch der 22-seitige Bericht des Zürcher Journalisten Sacha Batthyany im Magazin des Tages-Anzeigers belegt. Der Autor, selbst ein Großneffe der Schlossherrin Margit Batthyáni (geb. Thyssen-Bornemisza jr.) wurde vor zwei Jahren von Litchfields Intervention aufgerüttelt, gilt seine Großtante Margit doch zumindest als Mitwisserin und Helfershelferin der NS-Verbrecher.
Sacha Batthyany schildert im Tages-Anzeiger-Magazin, wie er seine Großtante Margit als eine passionierte Jägerin und Pferdeliebhaberin in seiner Jugend kennenlernt und immer nur Tante Margit nannte. Er und seine Eltern hatten der schwerreichen Tante nach ihrer Flucht 1956 aus Ungarn in der Schweiz viel zu verdanken.
Die Ereignisse vom März 1945 waren nie Thema. In der Familie Batthyány lief alles wie im Dorf Rechnitz: „Niemand weiß was, weil niemand je gefragt hat.“ Einfache Leute in Rechnitz bedachte Tante Margit – „eine Seele von Mensch“, so das einstige Kindermädchen – mit Geschenken und Land. Dem Vater des Journalisten Sacha Batthyany ermöglichte die Gräfin den Besuch eines exklusiven Internats in St.Gallen und das Studium.
Gegen „Judenhilfe“
Die eigene Familie betrachtete die nun monatelange Recherchen von Sacha Batthyany mit Skepsis: „Sie wollten damit eigentlich nichts zu tun zu haben“, sagt er. Am Ende seiner Recherche kommt Batthyany zu folgendem Schluss: Obwohl seine Tante Margit in der mondhellen Nacht des 24. März 1945 selber nicht geschossen habe, sei sie moralisch mitverantwortlich für den Massenmord und trage Mitschuld. Denn unzweifelhaft sei: „Sie lachte und tanzte im Schloss, als die ausgemergelten Körper zusammensackten und in die Erde fielen, sie lachte und tanzte mit den Mördern, als diese um drei Uhr morgens wieder aufs Schloss zurückkamen. […] Und während die 180 Leichen verwesten, fuhr Tante Margit alljährlich mit einem Kreuzschiff durch die sommerblaue Ägäis, trank Kir Royal in Monte Carlo und jagte Rehe in den Herbstwäldern des Burgenlandes.“
Andere Familienmitglieder wie Georg Thyssen – Sohn von Hans-Heinrich („Heini“) Thyssen-Bornemisza – bewerten die Ereignisse weiterhin anders, wie Sacha Batthyanys Report zu entnehmen ist. Georg Thyssen hat was gegen „Judenhilfe“. Georgs Schwester Francesca, die heutige und mondäne Erzherzogin von Habsburg, besuchte zwar einmal Rechnitz, und die NZZ berichtete im November 2008, „sie wolle ab sofort aktiv dazu beitragen, dass die rund um das Schloss ihrer Tante verübten Verbrechen aufgeklärt würden“. Doch Sacha Batthyany oder Prominente wie Paul Gulda halten dies für ein bloßes Lippenbekenntnis und für Imagepflege. Die Erzherzogin widme sich vor allem ihrer Kunststiftung „T-B A21“, laut Kritikern ein stiftungsrechtlich begünstigtes Modell „zum Schutz großer Vermögen vor angemessener Steuerleistung“ in Österreich.
In dem Gerichtsverfahren, das 1947 eingeleitet wurde, steckte von Anfang an der Wurm: das Schlossbesitzer-Ehepaar Batthyany-Thyssen wurde erst gar nicht befragt; die zwei Hauptbelastungszeugen wurden ermordet, und im Dorf herrschte Schweigen. Da wohnte bis zu seinem Tod 1996 der ehemalige Gauleiter Tobias Portschy, der als Jurist und FPÖ-Mitglied hohes Ansehen genoss und Redewillige einschüchterte. Von den sieben Angeklagten entzogen sich die beiden wichtigsten durch Flucht, zwei wurden freigesprochen, drei erhielten geringe Haftstrafen. Selbst das Gericht kam 1948 zu dem Schluss: „Die wahren Mörder sind noch nicht gefunden.“
Ein weiterer Teil des Skandals führt in die Schweiz, wie der Berner Historiker und Journalist Jürg Schoch in einem Beitrag zu seinem Buch „In den Hinterzimmern der Macht“ (Verlag Orell Füssli, 2009) dargestellt hat. Vor den näher rückenden sowjetischen Truppen floh das Ehepaar Batthyany-Thyssen und setzte sich in die prächtige Villa des Vaters Heinrich Thyssen an den Luganer See ab.
Bereits im August 1946 hatte sich die französische Besatzungsmacht aus Bregenz bei der Schweizer Bundesanwaltschaft über den Verbleib der „Comtesse Batthyany“ und des „Barons Tissen“ erkundigt. Die Schweizer wurden hellhörig, als sie aus Bregenz erfuhren, dass man die Gräfin über „die Begleitumstände“ einer „großen Judenhinrichtung“ durch Nazis bei Rechnitz befragt hatte. Dabei fielen auch die Namen des Gestapo-Funktionärs Podezin und Joachim Oldenburgs, des Geliebten und Gutsverwalters der Gräfin – genau jener beiden Männer, die die Flucht einem Auftritt vor Gericht vorzogen. Das Protokoll der Vernehmung der Gräfin ist heute unauffindbar.
In Bern wurde vertuscht
Das österreichische Gesuch zur Verhaftung von Podezin und Oldenburg verlief im Sand. Während sich Margit Batthyány-Thyssen der Jagd und der Pferdezucht widmete, sicherte ihr Ehemann Ivan die Zukunft. Er kaufte eine Hazienda in Uruguay und die uruguayische Staatsbürgerschaft. Nach seiner Rückkehr stellte das Ehepaar 1958 in der Schweiz einen Einbürgerungsantrag, der abgelehnt wurde.
Eigenartigerweise wurde in diesem wie in den zwei folgenden Einbürgerungsverfahren nur Ivan, aber nicht Margit Batthyány-Thyssen befragt. Und noch eigenartiger ist, dass in dem insgesamt zwölfjährigen Einbürgerungsverfahren bis zum positiven Entscheid 1970 nicht ein einziges Mal von der Verbindung des Ehepaars zu „Rechnitz“ und zur „großen Judenhinrichtung“, die in Bern schon 1946 aktenkundig geworden war, die Rede ist. Jürg Schoch vermutet die schützende Hand eines einflussreichen politischen Paten des Ehepaars hinter solchen „Zufällen“.
Vollends grotesk fiel das bisherige Finale aus. Während der Liebhaber und Gutsverwalter Oldenburg nach Argentinien verschwand, arbeitete Podezin, der ehemalige Gestapochef von Rechnitz, als westlicher Agent in der DDR. Er wurde verhaftet und nach elf Jahren Haft entlassen. Danach, erst 1963, erließ die Staatsanwaltschaft Dortmund einen Haftbefehl gegen Podezin wegen der Morde von Rechnitz. Podezin floh nach Basel und versuchte, seinen mutmaßlichen Komplizen Oldenburg und Gräfin Margit zu erpressen. Darüber informierte Interpol aus Wiesbaden die Schweizer Bundespolizei in Bern. Als die Basler Polizei zugreifen wollte, war Podezin bereits ins Spanien General Francos entwichen. Von dort floh er, so die Recherche von Sacha Batthyany, nach Südafrika, wo er um 1990 starb. Die 1911 geborene Tante Margit starb 1989 nach einer Jagdpartie an Herzversagen.
■ Literatur: David R. L. Litchfield: „Die Thyssen-Dynastie. Die Wahrheit hinter dem Mythos“. Assoverlag, Oberhausen 2008