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Archiv-Artikel

Die bezaubernde Intellektuelle

NACHRUF Sie ist die einzige linke Intellektuelle, deretwegen Veranstaltungen abgesagt werden mussten – weil man sie mit Gewalt bedrohte

Achtundsechzig zählte zu den großen und glücklichen Erfahrungen ihres Lebens

VON JAN FEDDERSEN

Vor zwei Jahren war es, als das Erinnerungsjahr zum Thema Achtundsechzig so langsam in Fahrt kam. Wir hatten zwei zum Streit eingeladen, Götz Aly, der mit seinem Buch „Unser Kampf“ das Seine zur Debatte beizutragen begann – und Katharina Rutschky. Im taz-Café hatten sie sich noch freundlich mit Handschlag begrüßt; sie sah grandios aus. Wahnsinnig akkurat rotlackierte Fingernägel, ihre graue Kurzhaarfrisur delikat anzusehen, ihr Aussehen überhaupt eine Dame, die, wenn ich recht erinnere, über all die Jahre, die ich sie schon kannte, immer weiblicher zu werden begann.

Als im Bibliotheksraum des taz-Archivs schließlich das Gespräch begann, fand mehr als ein Interview statt, viel mehr als ein Streit unter gebildeten Menschen – was stattfand, war eine Schlacht, unerbittlich, und die Person, die keinen Frieden gab, die nicht falsch jovial dem männlichen Kontrahenten Einvernehmen signalisieren mochte, war die Essayistin, Publizistin und Erfinderin der Chiffre von der „Schwarzen Pädagogik“, Katharina Rutschky. Sie wurde laut, sie wurde eisern und eisig zugleich, sie hielt allen Formeln Alys, denen zufolge, vergröbernd gesagt, Achtundsechzig nur eine Wiedergängerbewegung des völkischen Aufstands am Ende der Weimarer Republik war, das Ihre entgegen. Achtundsechzig, so Rutschky, war eine Bewegung, in der man sich in der Bundesrepublik freier zu fühlen begann, ein Aufbruch der dringend nötigen Durchlüftung, des Freisinns und der Ermöglichung eines besseren Lebens.

Rutschky ließ sich nicht für dumm verkaufen. Sie beharrte, Jahrgang 1941, Kind eines Schlossers und einer Hausfrau, darauf, dass lange vor den studentischen Ausflügen in die totalitären Welten von kommunistischen Zirkeln oder der RAF die Bundesrepublik freier zu werden begann – und sie hatte an diesem Aufstand gegen die sklerotische Nachkriegsrepublik unter Unionskanzler Konrad Adenauer so sehr Anteil wie das Gros ihrer Generation überhaupt. „Mir war damals jede Untergangsstimmung fremd, trotz eines kritischen Bewusstseins, das nie schlafen durfte“, schrieb sie in den Frankfurter Heften ausführlich. Achtundsechzig zähle zu den „großen und glücklichen Erfahrungen meines Lebens“. Darf man sich in eine Frau verlieben, die man zum Disput bittet? Ist das nicht die Verletzung journalistischer Regeln, gerade die Verve ihrer Beiträge mehr als nur zu wertschätzen, vielmehr ihre Lust am Streit nachgerade zu ersehnen?

Katharina Rutschky, Tochter aus dem „Kohlenkeller“, wie sie selbst sagte, ein Kind, das die Bildungsreformen nutzen konnte, um selbst den Aufstieg in Angriff nehmen zu können, gehörte zu den wichtigsten Essayistinnen unserer Kultur; 1999 verlieh man ihr den Heinrich-Mann-Preis für eine Fülle denkwürdiger Interventionen im intellektuellen Feld. Sie hat, als gelernte Pädagogin und Germanistin, 1977 den Begriff „Schwarze Pädagogik“ geprägt; sie hat mehr als ein halbes Dutzend pädagogischer Grundlagenwerke ediert und verfasst – und sie ist die einzige linke Intellektuelle, deretwegen Veranstaltungen abgesagt werden mussten, und zwar weil man Katharina Rutschky mit Gewalt bedrohte, ihr bei einem Abend in Hamburg sogar den Weg zum Podium versperrte. Das war die Zeit, als sie einen längeren Text über den Missbrauch des sexuellen Missbrauchs verfasste. Kurz gesagt: Sie warf feministischen Initiativen vor, dass sie mit Dunkelziffern operierten, dass sie Frauen nur allzu gern im Opferdasein weiter geborgen sähen und dass in der Chiffre vom sexuellen Missbrauch eine Alarmstimmung gegen den Mann als solchen läge. „Täterschützerin“ schimpfte man sie – sie selbst sagte, ihr kamen die Anwürfe vor, als sei sie eine Holocaustleugnerin, nur schlimmer. Ihr Buch über den Feminismus und Alice Schwarzer mündete in der lakonischen Bemerkung: „Was heißt – sie hat Verdienste gehabt? Welche denn?“

Es fällt schwer, diese Zeilen im Imperfekt zu schreiben. Viel schöner wäre, würde man sie für ihre wahnsinnig gute Kochkunst weiter loben, für ihre bezaubernde Gabe der Gastgeberin, für ihre absolute Nichtspießigkeit, ihr Herz und ihre Großzügigkeit, könnte man ihr Lachen einmal noch hören und ihren Spott. Dass sie den Applaus noch hören könnte für ihre Texte über den Stadthund – Hunde gehören in die Stadt, nicht in irgend imaginierte Natur! –, über die blind bleibende Wahrnehmung von weiblicher Potenz am Beispiel kindstötender Mütter, über im Grunde alles, was einem selbst nicht passte, über Beiträge, die einen womöglich auch ärgern konnten – aber das mit fantastisch anmutendem Gewinn. Sie war liebenswürdig – als man ihr das einmal sagte, meinte sie, es bräuchte ein Benimmbuch, das dem Spuk vom Gerede über die neue Bürgerlichkeit und angeblich fehlende Sitten beim Pöbel ein Ende setze. Und setzte nach: Eigentlich sei Anstand und Benimm eine Umgangsform, die das Proletariat sich zuerst zu eigen machte. Die Vergangenheitsform ist, in Trauer, nötig. Vor zwei Jahren erkrankte Katharina Rutschky schwer. Sie erholte sich gut; noch kurz vor Weihnachten war sie bester Form, kochte, trank Wein, disputierte und rauchte bei dieser Gelegenheit, aber das mit Genuss. Ein Rückfall am Jahresende brachte sie ins Krankenhaus. Am Donnerstag teilte ihr geliebter Mann Michael Freunden mit, dass seine Frau, elf Tage vor ihrem 69. Geburtstag in Berlin gestorben ist.