Arbeitsbedingungen auf dem Jahrmarkt: Herr Scholl, Blume und der liebe Gott

Mehrere rumänische Wanderarbeiter beklagen miese Arbeitsbedingungen bei einer Schaustellerfirma aus Hude. Die streitet alles ab. Jetzt entscheidet ein Gericht.

Ein Wohncontainer für die Saisonarbeiter, wie die Firma ihn sieht. Bild: Blume Tower GmbH

BREMEN taz | Seit gut zehn Jahren schon arbeitet Emil Scholl in Deutschland. Einen Beruf gelernt hat der Rumäne nicht, der 29-Jährige schlägt sich als Ungelernter durch, zuletzt in der Fleischindustrie. Aber „das Schlimmste“, sagt Scholl, war seine Zeit in der Schausteller-Branche. Seit 2012 arbeitete er bei der „Blume Tower GmbH“ in Hude, bis letzten Sommer, mit Pausen. Jetzt ist er gegen sie vor Gericht gezogen.

Zwölf bis 14 Stunden musste er arbeiten, behauptet er, Tag für Tag, manchmal noch mehr. Gewohnt hätten sie in einem Container, auf dem Hof der Firma. „Das war eine Katastrophe.“ 16 Leute hätten sich eine Toilette teilen müssen, ein Bad, eine Dusche. Scholl holt sein Smartphone hervor, seine Freundin Bianca Cocea auch. Die Sanitäranlagen auf ihren Fotos sehen marode aus, andere Fotos zeigen einen kleinen Raum, darin drei Stockbetten mit Metallgitter. Zeitweise hätten sie zu zehnt dort gelebt, sagt Scholl, dann kamen weitere Matratzen in die Mitte. Bei Blume bestreiten sie das.

Und auch sie haben Fotos von den Containern: Sie zeigen dieselben Stockbetten, aber auch einen lichten Gemeinschaftsraum, eine gut gefüllte Einbauküche. Alles sieht ganz ordentlich aus auf diesen Fotos. Von „vollkommen beengten Verhältnissen“ könne keine Rede sein, sagt die Firma.

Bekommen hat Herr Scholl für den Hilfsarbeiter-Job zuletzt 1.413 Euro brutto, etwas mehr als 1.000 Euro netto. So steht es jedenfalls in seiner Gehaltsabrechnung, die auch Abzüge für Steuern und Sozialversicherung ausweist – nur keine Arbeitszeiten.

Vom Lohn abgezogen, sagt er, habe man ihm auch eine „Garantieleistung“: 30 Prozent, pauschal, jeden Monat – um zu verhindern, dass er in der Saison geht. Dieses Geld gab’s dann erst am Ende des Jahres, sagt er. Frauen wurden schlechter bezahlt: Bianca Cocea musste laut der Lohnabrechnung zuletzt mit 893 Euro brutto auskommen, macht netto etwas mehr als 700 Euro. Abzüglich der Garantieleistung, wie sie sagt. In den Abrechnungen taucht die aber nicht auf. Einen schriftlichen Arbeitsvertrag gab es nicht, sagt Scholl.

Ermittlungen wegen Schwarzarbeit

Die Firma Blume Tower vermietet romantische Kinderkarussells im historischen Design, aber auch Glühweinhäuser mit Wohlfühl-Kamin, wahlweise auch im Alm-Design, dazu Blockhäuser für Weihnachtsmärkte. Und eben den Tower: 35 Meter hoch, 1.000 Quadratmeter groß, mit Aussichtsterrasse, Skyline-Café und Lounge. Zu WM-Zeiten haben sie zudem einen Biergarten betrieben, nahe Oldenburg, aber auf bayerisch getrimmt, oder was man hier so dafür hält.

Derzeit ermittelt das Hauptzollamt in Oldenburg gegen die Schaustellerfirma, es geht um Schwarzarbeit; aber „noch ist nichts entschieden“, sagt ein Behördensprecher. Die Firma weist die Vorwürfe von sich. „Das stimmt alles nicht“, sagt ihr Kölner Anwalt Bernd Gerritzen. „Natürlich“ gebe es ordentliche Arbeitsverträge, sagt er, nur habe die eben gerade der Zoll einkassiert. Dass Scholl bis zu 18 Stunden am Tag habe arbeiten müssen, „entspricht nicht der Wahrheit“, sagt Gerritzen. Nur „ausnahmsweise“ hätten die Rumänen einmal sieben Tage hintereinander arbeiten müssen, „in keinen Fall“ aber mehr als 48 Stunden in der Woche. „Ziemlich sicher“ mussten die Rumänen länger arbeiten als zulässig, sagt dagegen ihr Anwalt Günter Möhlenkamp. Aufzeichnungen fehlen – Stundenzettel wurden nicht geführt, sagt Gerritzen. Den Rest muss nun das Arbeitsgericht in Oldenburg entscheiden.

Sicher ist nur, dass Herr Scholl und Frau Cocea im vergangenen Sommer zusammen mit zwei weiteren Rumänen rausgeflogen sind. Ihnen sei fristlos gekündigt worden, sagt Blume: Sie hätten die Arbeit verweigert und zuvor vergeblich versucht, eine Lohnerhöhung durchzusetzen. Nie habe es Diskussionen um Geld gegeben, sagt Scholl dagegen. Nur bessere Arbeitsbedingungen hätten sie gefordert, mehr Freizeit, mehr Pausen, mehr Urlaub etwa. Am Ende seien sie des Hofes verwiesen worden „wie Hunde“, sagt Scholl „und ohne einen Cent in der Tasche“. Obdachlos. Ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld. Im Auto hätten sie übernachten müssen, erzählt Scholl, ehe ihnen ein Pfarrer half, die Diakonie in Oldenburg, eine Schwester aus dem Kloster in Dinklage. Unbedingt müsse die Presse das erwähnen, und wie dankbar sie dafür seien.

Keine soziale Absicherung

Ihre Geschichte, sagt Daniela Reim von der Oldenburger Beratungsstelle für mobile Beschäftigte, ist keine Ausnahme. „Ich habe das schon von so vielen Rumänen gehört“, sagt sie, etwa auf Jahrmärkten in Oldenburg, Bremen oder Vechta. Zuletzt hatte sie einen Fall aus Hamburg. „Es ist immer wieder die gleiche Situation.“ Oft verdienten die Hilfsarbeiter nur 900 Euro im Monat, sagt Reim, und vielfach gebe es keine Arbeitsverträge, keine Krankenversicherung, keine soziale Absicherung.

Sogar zu einer Abtreibung sollen die Leute bei Blume Cocea genötigt haben. „Wir wollten das Kind“, sagt Scholl: „Wenn du kein Kind hast, kannst du alles andere am Ende wegwerfen.“ Nach einigen Hin und Her sei sie schließlich nach Rumänien gefahren, sagt Cocea, um abzutreiben, an einem Mittwoch war das.

Tags darauf, sagt sie, habe die Chefin schon wieder angerufen: „Wir brauchen dich!“ Das Geld für die Abtreibung in der Heimat habe die Firma vorgestreckt – und dann vom Lohn abgezogen, so die zierliche Frau, die schon einen sieben Jahre alten Sohn hat, wie sie erzählt. In Rumänien. Dass die Firma sie zur Abtreibung gedrängt und dafür bezahlt habe – das sei „völliger Quatsch“, entgegnet Gerritzen: Cocea habe abgetrieben, weil sie sich von Scholl trennen wollte, so der Anwalt. So steht es auch in einer eidesstaatlichen Erklärung, die Gerritzen der taz präsentiert.

Heute sitzen Scholl und Cocea allerdings einträchtig nebeneinander. „Wir glauben an Gott“, sagt Scholl dann, und dass die Chefs bei Blume Tower „harte, kalte Leute“ gewesen seien. Cocea nickt. „Die haben keinen Gott“, sagt der Mann im blauen Trainingsanzug. Menschen könne man kaufen. Gott nicht. Also vertraut er darauf, das am Ende, irgendwie, noch alles gut wird.

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