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Archiv-Artikel

Der trotzige Verweigerer

KINO „Oslo, 31. August“ verdichtet vierundzwanzig Stunden im Leben eines verzweifelten Loners zu einem fließenden Liebeslied an Oslo und sein Wohlstands-Savoir-vivre-Flair

Mit einer Präsenz und Unsentimentalität, wie sie selten zu sehen ist, vermag Anders Danielsen Lie, Frust, Zorn und Angst auf seinem Gesicht zu spiegeln, ohne je viel von sich preiszugeben

VON CLAUDIA LENSSEN

Der Mann im Mittelpunkt von Joachim Triers Film „Oslo, 31. August“ muss den ersten freien Abendausgang aus der Entzugsklinik desaströs erlebt haben. Nach schlafloser Nacht hastet Anders (Anders Danielsen Lie) in Panik davon, um sein Leben in einem See zu beenden. Das kalte Bad ernüchtert. Zur therapeutischen Morgenrunde ist er in der Klinik wieder präsent, ohne dass sein verschlossener Ausdruck andeutet, wie nah er dem Ende war. Der schmale Typ mit den tief liegenden Augen fährt sogar nach Oslo hinein, wo sich mittags entscheiden könnte, ob er eine Stelle bekommt. Als Schreiber für ein Spiele-Fanzine würde er ziemlich gut an das anknüpfen, was ihm vor seiner Zeit als Junkie Anerkennung eintrug. Doch das Manko in seiner Vita macht den etablierten Chef stutzig, Anders fühlt ein Vorurteil bestätigt und gibt frustriert auf.

Vierundzwanzig Stunden, vielleicht die letzten, im Leben eines verzweifelten Loners verdichten der dänisch-norwegische Regisseur Joachim Trier und sein Koautor Eskil Vogt zu einem fließenden Liebeslied an Oslo und sein Wohlstands-Savoir-vivre -Flair, in dem sich der antibourgeoise Grenzgänger Anders, der fünf Jahre als DJ und Dealer unterwegs war, nun ausgegrenzt, abgehängt, nicht mehr geliebt fühlt. Die Eltern sind auf Reisen, die Schwester, die das Haus verkaufen soll, überlässt ihm nur widerwillig über eine Mittelsperson den Schlüssel.

Die Skyline der Stadt ist voller Baukräne, alte Stadtviertel sind herausgeputzt. Oslo verspricht eine Zukunft, in der seine inzwischen verheirateten Freunde längst angekommen sind. Anders dagegen bleibt auf die Spuren von damals fixiert, auf die erwartbaren Kränkungen seines Narzissmus, am Ende des Tages auch auf die Drogen, die den inneren Tumult betäuben. Mit seinen Ohren erlebt man den Sound der Stadt. Er scheint die Café-Gespräche herauszufiltern, all das Geplapper über kleine Krisen und große Glücksvorstellungen, die den Mann in der Krise zu einem Seismografen seiner Umgebung machen. Einen Tag lang streift Anders durch die sommerliche City und versucht vergeblich, seine Exfreundin Islin, die Schwester oder die Eltern zu erreichen.

Ruhig bleibt die Handkamera dem verzweifelten Loner auf den Fersen, wenn er alte Freunde aufsucht, die ihn den coolsten Typen ihrer alten Szene nennen, inzwischen jedoch längst Eigentumswohnungen ausbauen und die Zahnringe ihrer Babys im Kühlschrank horten. Anders wollte nie so leben wie Thomas (Hans Olav Brenner), aber sein Freund (ein gescheiterter Schriftsteller wie auch die beiden Protagonisten in Joachim Triers und Eskil Vogts Debütfilm „Reprise“, 2006) habe wenigstens etwas in der Hand, er selbst „habe nichts“.

Joachim Trier und Eskil Vogt betonen in Interviews, dass das melancholische Lebensgefühl des Films ein Puzzlestück aus dem authentischen Norwegen von heute sei, ihr Drehbuch sich jedoch einer Anregung durch den 1931 erschienenen Roman „Le Feu Follet“ (Irrlicht und Feuer) von Drieu La Rochelle verdanke. Louis Malles Adaption machte 1963 daraus eine bravouröse Abrechnung mit der stumpfsinnigen Mittelmäßigkeit der französischen Nachkriegskultur, während der Roman als Plädoyer für den Selbstmord auf Drieu La Rochelles Erfahrungen im Ersten Weltkrieg Bezug nahm.

Die literarischen Stützen sagen indes wenig über die mitreißende Wirkung des Films aus. Sie ist vor allem das Verdienst von Anders Danielsen Lie, dem die Rolle auf den Leib geschrieben wurde. Mit einer Präsenz und Unsentimentalität, wie sie selten zu sehen ist, vermag er, Frust, Zorn und Angst auf seinem Gesicht zu spiegeln, ohne je viel von sich preiszugeben.

Lie, ein Sohn der norwegischen Schauspielerin Amanda Danielsen, stand mit elf erstmals vor der Kamera und fand vor sieben Jahren mit einer vergleichbar intensiven Rolle in „Reprise“ große Beachtung. Dennoch versteht sich 34-Jährige als Gelegenheitsschauspieler, der sich im Ensemble von „Oslo, 31. August“ unter Freunden bewegt. Lie arbeitet als Arzt und veröffentlicht Musik. Man findet im Netz Modefotos von ihm und seiner Frau Islin Steiro, einem international arbeitenden Model, auf denen sie in den Gassen der gentrifizierten Osloer Viertel posieren. In dem Film bewahrt er sich ein instinktives Gespür für den Riss, der seine Figur des trotzigen Verweigerers umtreibt.

■ „Oslo, 31. August“. Regie: Joachim Trier. Mit Anders Danielsen Lie, Ingrid Olava u. a. Norwegen 2011, 96 Min.