Die Wahrheit: „Es war die Hölle auf Erden!“

Ein Verbrechen entsetzt die Öffentlichkeit: Politnapping. Mitten in Deutschland werden Mitbürger entführt und als Politiker missbraucht.

Bild: Stephan Rürup

Von der Öffentlichkeit unbeachtet, haben in den letzten Jahren Machenschaften um sich gegriffen, die an Brutalität und Skrupellosigkeit ihresgleichen suchen: Wehrlose Männer werden auf offener Straße niedergeschlagen, betäubt und mit Waffengewalt entführt. In Ausbildungs- und Umerziehungslagern werden sie so lange gequält, indoktriniert und mental umprogrammiert, bis sie als Landes- oder gar Bundespolitiker in Parlamente gewählt oder auf Ministerposten gesetzt werden können.

„Es war ganz schlimm“, sagt jetzt erstmals ein Opfer dieser menschenverachtenden Praktik aus. Markus M. (Name von der Redaktion geändert) wurde von der Straße weg in ein Partei-Schulungslager entführt. „Von der Straße weg“, erklärt er mit leiser Stimme, „ich war gerade auf dem Weg von der Schule nach Hause, da sprach mich ein Mann an und fragte nach der Uhrzeit.“

Dann wurde es dunkel um Markus M. Ein zweiter Mann hatte ihm einen Sack über den Kopf gezogen und zerrte ihn nun in ein mit laufendem Motor wartendes Auto. Markus M. wurde ohnmächtig. „Narkose“, vermutet er, „sie hielten mir ein übel riechendes Tuch vor die Nase …“

Als er erneut zu sich kam, fand er sich in einem dunklen Raum wieder, an einem Tisch mit einer einzigen Lampe. Darüber, was dann folgte, kann er selbst heute, nach vielen Jahren, nur schwer sprechen. Es begann mit stundenlangen Verhören, dann folgten Schlafentzug und Gehirnwäsche. „Ich wurde regelrecht umprogrammiert“, berichtet Markus M. Er verlor jegliches Gefühl für Zeit und Moral. Als er nach Monaten zum ersten Mal nach draußen, in den engen Innenhof, gelassen wurde, frische Luft atmete und das gleißende Sonnenlicht sah, weinte er.

Gehirnwäsche ohne Sonne

Dann begannen die „Schulungen“. Er musste das Parteiprogramm auswendig lernen, wurde nachts aus dem Schlaf gerissen und abgefragt. Auch die Programme der anderen Parteien trichterten sie ihm ein. Auf dem Lehrplan standen außerdem Diskutieren, Argumentieren, Polemisieren und Immer-wieder-Interviews-Geben. „Ich wurde mit politischen Nachrichten aus aller Welt versorgt. Ich bekam Zeitungen zu lesen. Den Sportteil, den Kulturteil und Vermischtes rissen sie vorher immer raus. Mittags musste ich fertig sein, dann wurde ich nach meiner Meinung gefragt. Wenn es die falsche war, gabs drakonische Strafen.“

Nach zwei Jahren wurde Markus M. in die Freiheit entlassen. In eine trügerische Freiheit allerdings, denn jetzt war stets ein Tross von Beratern und Bodyguards dabei, darunter auch Mitarbeiter des Schulungslagers. Es war mitten in einem Wahlkampf, und mit Schrecken stellte er fest, dass die Partei ihn als Kandidaten aufgestellt hatte. Überall in der Stadt hingen Plakate mit seinem Konterfei. Vier Wochen später war er zum Abgeordneten gewählt, zwei Jahre darauf rückte er auf einen gerade frei gewordenen Ministerposten. Was dann folgte, könnten wahrscheinlich viele Entführte berichten: Oppositionsführer, Fraktionsvorsitzender, Ministerpräsident, Kanzlerkandidat.

Wer sind die Hintermänner dieses verabscheuungswürdigen Rekrutierungssystems? Offenbar andere Politiker, die vor vielen Jahren selbst entführt worden sind – wie Wolfgang W. (Name von der Redaktion geändert). Er lässt seit zehn Jahren Menschen kidnappen und umschulen. Ein schlechtes Gewissen hat er dabei nicht.

„In Deutschland herrscht Nachwuchsmangel“, sagt er, „es wollen ja kaum noch Jugendliche Politiker werden. Und die wenigen, die sich freiwillig melden, sind seltsame Typen, Egomanen, die wahrscheinlich mal Diktator werden wollen. Da gab es schon ganz schlimme Vorfälle. Hier, der Dings, der eine mit dem Bart. Und dann der andere, der jetzt so krank ist … So, wie wir es machen, haben wir die Politiker besser unter Kontrolle.“

Kontrolle, aber es herrscht auch Druck. Diesen Druck hielt Markus M. nicht lange aus. Als er bei einer Diskussionsrunde von einer Journalistin gefragt wurde, weshalb er für dieses Amt kandidierte, brach er in Tränen aus. „Ich wusste einfach keine Antwort“, sagt er. Alles kam wieder hoch: Erinnerungen an die Entführung, an das Schulungslager, an die Misshandlungen.

„Ich wollte aus meinem Leben was machen“, sagt M., „einen ordentlichen Beruf ergreifen, vielleicht was mit Autos oder Tieren. Ich habe als Jugendlicher auch gern gemalt.“ Wünsche, die von einem auf den anderen Tag von einem skrupellosen Politiksystem zerstört wurden.

Wähler ohne Mitleid

Jetzt ist er ausgestiegen. Doch die Integration in die normale Gesellschaft ist nicht einfach. Jahrelang wurde er in Restaurants ernährt, jetzt weiß er nicht, was eine Flasche Wein kostet. Markus M. hat angefangen, für sich selbst zu kochen. „Heute gab es Nudeln mit Tomatensoße“, sagt er tonlos, „aber es ist alles angebrannt.“

Auch für seine Familie ist es schwer. Seine Schwester hat ihn nach all den Jahren, die er fort war, gar nicht wiedererkannt. Seine Mutter weinte, als er vor der Tür stand.

„Natürlich habe ich mir Sorgen gemacht, als mein Sohn verschwand“, sagt sie. „Und als ein paar Jahre später dieser Politiker auftauchte, der genauso aussah wie er, genauso sprach und auch genauso hieß, da dachte ich: Was für ein Zufall. Ich hätte ja im Traum nicht daran gedacht, dass er Politiker werden würde. Wir hatten ihn doch zu einem anständigen Menschen erzogen, mein Mann und ich.“

Es gibt keine Zahlen, wie viele Menschen jedes Jahr entführt und zu Politikern gemacht werden. Eigentlich könnte es jeder sein, den man täglich im Fernsehen oder in den Zeitungen sieht. Oder jede, denn in letzter Zeit werden offenbar auch Frauen entführt. Die zuständigen Polizeibeamten zucken angesichts des anhaltenden Politnappings hilflos mit den Schultern. Er habe Anweisung von ganz oben, nicht zu ermitteln, berichtet ein leitender Staatsanwalt, der nicht genannt werden will, und fügt im Vertrauen hinzu: „Ohne Politiker-Entführungen bricht doch unser gesamtes demokratisches System zusammen.“

Was sagen die Entführten dazu? Wolfgang W. lacht. Die bekämen doch alles, was sie brauchten: teures Essen, teure Kleidung, Unterkunft, später sogar ein kleines Taschengeld, wenn sie artig sind. Und das in einem Land, wo ein großer Teil der vierköpfigen Familien mit zwei erwerbstätigen Elternteilen unter der Armutsgrenze lebt.

Zukunft ohne Winken

Markus M. sieht das anders. Er schüttelt den Kopf, als wir ihn mit der Aussage von Wolfgang W. konfrontieren. Zynisch nennt er diese Haltung. „Und dann hacken auch noch die ganzen Medien auf uns Politikern herum, und die Wähler sind gemein zu uns“, jammert er. „Niemand hat Mitleid, dabei machen wir das doch alles gar nicht freiwillig.“

Wie geht es weiter mit Markus M.? Er würde sich gern einen Job suchen, aber das wird schwierig, er hat ja so gut wie keine Qualifikation. Ein Studium konnte er nie beginnen, etwas anderes als Reden und Winken hat er nicht gelernt. Wahrscheinlich wird er Hartz IV beantragen müssen, doch da drohen ihm weitere Schulungen und Maßnahmen. Zurzeit ist er krankgeschrieben und lebt wieder bei seinen Eltern. „Ich hab ja nichts, alles was ich hatte, gehört der Partei.“

Er würde gern weinen. Doch er hat keine Tränen mehr.

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