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Archiv-Artikel

Trennungsgrund Hartz IV

Das Land Berlin muss rund 100 Millionen Euro mehr Geld für Hartz IV ausgeben als ursprünglich geplant. Denn viele Empfänger sind aus so genannten Bedarfsgemeinschaften ausgezogen

VON RICHARD ROTHER

Die umstrittene Arbeitsmarktreform Hartz IV kostet das Land Berlin mehr als erwartet. Knapp ein Jahr nach Inkrafttreten zeichnen sich nach Angaben der Senatsfinanzverwaltung für das Jahr 2005 Mehrkosten von mehr als 100 Millionen Euro ab.

Mit Hartz IV war zum Jahreswechsel die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe zum so genannten Arbeitslosengeld II auf Sozialhilfeniveau zusammengefasst worden. Seither übernimmt der Bund die Lebenshaltungskosten für arbeitsfähige Joblose, die keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I haben. Die Unterkunftskosten der Betroffenen teilen sich die Kommunen und der Bund, der 29,1 Prozent davon übernimmt. Dabei soll es nach Auskunft der neuen Bundesregierung auch bleiben. Ursprünglich hatte der Bund eine Verringerung seines Anteils angedroht. „Unterm Strich werden wir durch Hartz IV um rund 100 bis 150 Millionen Euro entlastet“, rechnet Matthias Kolbeck, Sprecher der Berliner Finanzverwaltung vor. Zu Jahresbeginn wurden vereinzelt bis zu 300 Millionen Euro Entlastung prognostiziert.

Bis Ende Oktober hatten die Berliner Hartz-IV-Behörden rund 951 Millionen Euro für Unterkunftskosten ausgegeben, bis Jahresende werden es geschätzte 1,2 Milliarden Euro sein. Diese Kosten sind im Laufe der Monate von rund 67 Millionen Euro für Januar auf rund 104 Millionen im Oktober gestiegen, heißt es in der Antwort des Senats auf eine parlamentarische Anfrage des Linkspartei-Abgeordneten Michail Nelken. Ursache dafür sei Zunahme der so genannten Bedarfsgemeinschaften. Eine Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft kann ein Ehepaar, eine Lebensgemeinschaft aber auch ein Single sein. Im Januar gab es in Berlin noch 270.000 Bedarfsgemeinschaften, im September bereits 314.000. Diese Vermehrung – von manchem als „Sozialmissbrauch“ gegeißelt – hat viele Ursachen. Die wenigsten haben mit illegalem Verhalten zu tun. So haben sich offenbar Bedarfsgemeinschaften geteilt, weil das finanziell etwas günstiger ist. Jugendliche sind bei ihren Eltern ausgezogen, um allein zu leben. Freiberufler haben Arbeitslosengeld II beantragt, wenn ihr Einkommen nicht zum Leben reichte. All das ist nicht verboten. Zudem verschlechtert sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt weiter – nach und nach fallen mehr Menschen ins Arbeitslosengeld II.

Natürlich gebe es auch bei Hartz-IV-Missbrauch, meint Roswitha Steinbrenner, Sprecherin der Sozialverwaltung. Aber das sei bei Steuererklärungen oder Unternehmenssubventionen nicht anders. In der alten Sozialhilfe habe die Missbrauchsquote zwischen 2 und 4 Prozent gelegen, „das dürfte jetzt nicht höher sein“.

In ihren Wohnungen sind die Betroffenen allerdings nicht sicher. Das Land übernimmt die vollen Unterkunftskosten nur im ersten Jahr des Arbeitslosengeld-II-Bezuges. Danach müssen sich Betroffenen selbst um „angemessenen Wohnraum“ kümmern. Die maximale Miete dafür definiert eine Landesverordnung. Das hat auch Folgen für den Wohnungsmarkt. So gebe es kaum noch Single-Wohnungen unter 360 Euro Warmmiete, sagt Steinbrenner, weil die ein Hartz-IV-Empfänger erstattet bekomme. Die Vermieter haben offenbar schnell gemerkt, wie hoch sie reizen können.