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Archiv-Artikel

Warme Weihnachten

CSD auch in kälteren Jahreszeiten: Der Winterpride ist ein Weihnachtsmarkt von Schwulen und Lesben – und der erste seiner Art überhaupt. Ein Zeichen, um das eigene Milieu zu überschreiten?

VON JAN FEDDERSEN

In seinen ästhetischen Sichtbarkeiten unterscheidet sich dieser Event in beinahe nichts von all den anderen Weihnachtsmärkten, die aus Berlin noch bis zum Heiligabend ein verhütteltes und verglühweintes Flanierfeld machen: Das Gelände ist abgegrenzt, kaum ist zu erkennen, dass, wenn dort kein Budendorf aufgestellt ist, es nichts als einer der hässlichsten Parkplatzflächen ist.

Aber es riecht nach Zimt und Kardamon, irgendwie auch nach Zuckerwatte und Fett. Grünkohl wird im Showzelt gereicht, dazu Kassler oder geschmorte Ente. Elisabeth Ziemer, Bezirksstadträtin von Schöneberg, betonte zum Auftakt mit warmen Worten, wie wichtig und kostbar, ja, kulturöffnend, gerade dieser Weihnachtsmarkt sei. Denn es sei keiner der Krethis und Plethis, sondern, das ist der politische Mehrwert, der von schwulen und lesbischen Krethis und Plethis.

Sein Titel: Winterpride – eine krude Wortschöpfung aus dem Umstand, dass er eben in frostiger Umgebung stattfindet, und dem englischsprachigen Pride, Stolz. Eben der verweist auf die Szene, die rund um den Nollendorfplatz, wo dieser Winterstolz seine Hütten aufgestellt hat, vornehmlich zu Hause ist: die der Schwulen und Lesben.

Am U-Bahnhof erinnert eine ins Mauerwerk eingelassene Tafel an das Schicksal der Rosa-Winkel-Häftlinge, an die schwulen Männer, die die Nazis terrorisierten und tausende von ihnen in Konzentrationslager brachten – wo Arbeit sie tot machte. Mehr als sechzig Jahre später darf eine Transe auf dem Winterpride fragen: „Und für einen Weihnachtsmarkt der Schwuppen – dafür sollen unsere Vorfahren gestorben sein?“

Als ob es über Moral und Traditionen etwas abzustimmen gäbe – sie gibt es, sie wachsen oder sie verwehen: Aber der Winterpride ist eine Tatsache, der im Laufe des Wochenendes ziemlich viele Menschen ihre Referenz erweisen. Das ist erstaunlich, denn es ist der erste schwullesbische Weihnachtsmarkt überhaupt.

„Berlin“, sagt ein Besucher, „ist weltweit wieder ganz vorne dabei.“ So wie zu Zeiten Christopher Isherwoods, Autor von „Goodbye, Berlin“, Inspirator des Films „Cabaret“: Damals war’s, in der Weimarer Republik, als die Braunen noch nicht in Berlin die Musik machten, sondern die Schrägen und Schrillen. In jenen Jahren war Berlin wirklich die Hauptstadt all jener, die nirgendwo sonst als Homosexuelle, als Andere, sichtbar werden durften.

Aber ist ein Winterpride nicht vielmehr ein weiterer Beleg für die Kommerzialisierung der Szene, wie manche beklagen? In der es nur auf Geld ankomme? Wer über die nötigen Mittel nicht verfügt, der müsse draußen bleiben? Die Winterpride-Macher wissen dies – und wollen doch nicht anders. Ein Teil ihrer Erlöse geht an das schwule Überfalltelefon vom Mann-O-Meter, einer Art Bürgerrechtszentrum der Homoszene in Berlin. Aber auch das mag nicht politisch beruhigen – welches merkantile Unterfangen buhlt nicht um Sympathie, indem dessen Initiatoren karitative Absichten bekunden, um alle Schäfchen in eigener Sache ins Trockene zu bringen?

Wahr ist aber vor allem, das darf notiert werden, dass der Winterpride nur der letzte Schritt der schwullesbischen Community an die Öffentlichkeit ist: Waren Anfang der Siebziger die ersten Homo-Cafés willig, ihre Schaufensterfronten einsehbar zu machen, sich nicht mehr zu verstecken, so war es nur logisch, dass CSD-Paraden zum je individuellen Testfall wurden, sich selbst öffentlich zu zeigen.

Der Winterpride ist so gesehen ein letztes – wie man auf das Vorläufigste sehen kann: ein geglücktes – Experiment, sich gesellschaftlich, im Stadtbild, im metropolen Leben, als zu jeder Zeit existent zu arrangieren: Profilierte man sich bis zu diesem Event vor allem als feierwütige, allzu gut gelaunte, schräge, schrille Truppe, als Love Parade für Fortgeschrittene, positioniert man sich mitten in jenem Mainstream, der das Heterosexuelle unumwunden als Hauptfiguren sah: in dem des Weihnachtlichen.

Das christliche Fest, das wichtigste Stelldichein des Familiären, ist ja nicht zuletzt (und historisch zuerst) aufgeladen als Feier der Fortpflanzung, des Familialen und der familiären Erbschaft. Maria und Joseph und Krippe und Bethlehem und ein Kind, das neu geboren wurde – heterosexueller vom Bedeutungsfutter geht’s nicht.

Kein Wunder, dass Homosexuelle sich an dieses Thema bislang nicht so recht herantrauten: Gerade zu Weihnachten fühlt man sich in der eigenen Herkunftsfamilie am ehesten als das, was man meist in deren Ensemble ja auch ist – Parias, die Unerwünschten, die Verfehlten, diejenigen, die in puncto Fortpflanzung so gar nichts beizutragen haben oder es auch nicht wollen. Schwule und Lesben: die Kinder ihrer Eltern, die nicht so wollen wie ihre Eltern?

Aber der säkulare Westen kennt kein Erbarmen – und wenn Schwule und Lesben nun auch zu Weihnachten sichtbar werden wollen, symbolisiert über eben diesen Winterpride, kann ihnen das niemand verwehren.

Dass manchem Heterosexuellen es den Atem verschlägt, wenn wie am Wochenende eine Fummeltrine mit brüchig-männlichem Trimbre ein Weihnachtslied anstimmt, ist aus deren Sicht nur verständlich: Muss Liberalität so weit gehen, nun auch noch dieses Fest mit eigenen Inhalten zu okkupieren?

Ja, wer wollte dies sabotieren. Eine ausdifferenzierte Gesellschaft erlaubt fast alles – und wer den Winterpride für einen Skandal hält, wer ihn als Spott auf das Gute, Wahre, Schöne lesen möchte, kann nicht die Polizei rufen, sondern muss weggucken. Wie eben Schwule und Lesben bei heterosexuellen Propagandaorgien (alle Familienfeiern, bei denen die Kinder produzierenden Sprösslinge als wohlgeraten hervorgehoben werden) auch.

Dass der erste Winterpride nun obendrein in eine Zeit fällt, in der eine Regierung obwaltet, welche den fehlenden Nachwuchs (Unsere Demografie, Gott, oh Gott!) zum Problem macht und alles im gesellschaftlichen Diskurs überhaupt auf einen Abschied von der postmodernen Ära hindeutet, auf ein Nein zum Hedonistischen, zum Ich-Zentrierten (als was viele Heterosexuelle das Homosexuelle ja wahrnahmen), macht die Veranstaltung besonders pikant: Man zeigt sich stolz, demonstriert, was die Community hervorbringen kann – und schert sich einen Teufel um bevölkerungspolitische Großappelle.

Wenn die Schwarz-Roten unter Angela Merkel schon jeden reformpolitischen Willen zur Gleichstellung homosexueller Partnerschaften vermissen lässt, im Koalitionsvertrag nur das Selbstverständliche unterstreicht (man respektiere die Lebensweise von Minderheiten), dann macht man eben weiter: mit dem Marsch in den Mainstream. Weihnachten sei das Fest der Familie? Jawoll.

„We Are Family“, hieß es vor sechs Jahren in einer Aktion, bei der Homoaktivisten betonten, dass überall da, wo Kinder seien, auch Familie stattfände. Das Plakat zur Aktion zeigte eine Unionsvorsitzende namens Angela Merkel (kinderlos) neben einem Lesbenpaar, das Kinder hat: Wenn Familie Kinder bedeuten, dann seien eben die beiden Frauen (und immer mehr schwule Männer, die Väter werden oder werden wollen) Familie – eine heterosexuelle Orientierung könne nicht als solche moralisch besonders fein interpretiert werden.

Die revolutionäre „Ikone“ hat längst keine Lust mehr, für transzendent inspirierte Spielchen politischer Korrektheit missbraucht zu werden: Er ist erwachsen geworden und freut sich, öffentlich werden zu können.

Ein etwa Ende dreißig Jahre alter Mann, Kaufhausverkäufer, guckte doch sehr zufrieden nach etwa fünf Glühweinchen; sein Mann (ja, so nennt er seinen verpartnerten Liebsten), ein Krankenpfleger, muss noch Spätschicht arbeiten. Er sagte: „Ich bin ja nie so politisch gewesen. Aber die Rechte, die wir jetzt haben, finde ich toll. Und dass wir jetzt so leben können, wie wir möchten. Ich bin extra hergekommen.“

Die „Eroberung aller Jahreszeiten“ war immer schon das Programm – nun ist sie eben beim Winter angelangt, bei Weihnachten als seinem zentralen Fest: Kommerz ist hier nur die Oberfläche des Ereignisses, politisches und kulturelles Selbstbewusstsein sein Inhalt. Man wird davon nicht betrunken. Aber es hilft, die Weihnachtstage in heterosexuellen Kreisen besser zu überstehen.