ZWISCHEN DEN RILLEN
: Wandelndes Paradoxon

Tyler, the Creator: „Wolf“ (Odd Future/Sony)

Alles fängt mit einem „Fuck you“ an. Es ist kein aggressives oder rebellisches, eher ein gleichmütiges „Fuck you“, eines, das gelangweilte Überlegenheit über pathetisches Keyboardgeklimper haucht. Überlegenheit steckt nicht nur im Albumintro, sondern schon im Künstlernamen Tyler, the Creator. Und wer sich als Schöpfer gibt, der dürfte ohnehin auf alles einen Fick geben.

Bei dem südkalifornischen Rapper ist aber so gut wie nichts wörtlich zu nehmen. Einen frühen Song leitete Tyler, the Creator mal mit einer Zeile ein, die er so ziemlich jedem Song voranstellen könnte: „I’m a fucking walking paradox. No, I’m not.“

Auch wenn nun sein neues Album „Wolf“ streckenweise mit dem introvertierten Denker kokettiert, so bleibt Tyler Gregory Okonma alias Tyler, the Creator ein Performer, der stets mit dem Absurden liebäugelt. Bekannt wurde er als Kopf des zynischen Flegelrapkollektivs Odd Future Wolf Gang Kill Them All, das selbst gemachte Mixtapes zum kostenlosen Download ins Netz stellte und sich damit von Los Angeles aus im Handumdrehen zum Internethype entwickelte.

Dieses Do-it-yourself-Prinzip beherrscht auch die Solokarriere. Tyler produziert fast alle seine Songs selbst, auf dem eigens gegründeten Label Odd Future Records. Musikalisch deckt „Wolf“ die letzten 20 Jahre des HipHop ab: vom subtilen New-York-Sound der neunziger Jahre auf „Cowboy“ über den stark M.I.A.-haften Tanzflächenkracher „Tamale“ bis zum einfühlsam-jazzigen „Treehome59“, für dessen Gesangspart Tyler die Post-Soul-Diva Erykah Badu gewann.

Gleichzeitig genießt Tyler, the Creator die Kontroversen über seine teilweise homophoben und sexistischen Inhalte. Doch wie schon der Vorgänger „Goblin“ zeigt auch „Wolf“, dass es viel zu einfach wäre, Tyler auf seine provokanten Aussagen zu reduzieren, die immer in einem mehrdeutigen Kontext stehen und fast an Stand-up-Comedy grenzen.Tyler bedient sich der schwulen- und frauenfeindlichen Klischees, die dem afroamerikanischen Künstler und dem Rapper ohnehin anhaften, überzeichnet sie und kippt sie ins Lächerliche.

Sein kürzlich geouteter Bandkollege Frank Ocean ist gleich mehrmals auf dem neuen Album vertreten – das nostalgische Liebeslied „Awkward“ etwa gehört zu den stärksten Stücken.

Ob als radikaler Außenseiter, der in der Schule gemobbt wurde und gewaltsame Rachefantasien im Kinderzimmer zusammenspinnt („Pigs“), oder als einsamer Junge, der sich nach dem abwesenden Vater sehnt („Answer“): Tyler, the Creator beherrscht die Selbstinszenierung wie kaum ein anderer MC – und Emotionalität funktioniert bei ihm nicht ohne die in Wut ausufernde Defensivhaltung eines 22-Jährigen –, was letztlich umso mehr besticht. FATMA AYDEMIR