: „Wir brauchen dringend eine Männerquote“
Jungen werden bis zum Ende ihrer Grundschulzeit fast nur von Frauen erzogen. Ohne männliche Vorbilder lernen sie schlechter und entwickeln für sich stereotype Männerrollen, sagt der Bielefelder Jugendforscher Klaus Hurrelmann
taz: Herr Hurrelmann, Jungen werden immer schlechter in der Schule, sind unkonzentriert und aggressiv. Was stimmt nicht mit der neuen Männergeneration?
Klaus Hurrelmann: Sie schafft es vor allem in der Schule nicht, sich ausreichend anzupassen. Mädchen setzen sich langfristige Ziele, wie zum Beispiel einen bestimmten Schulabschluss. Dass es auf dem Weg dahin Hürden gibt, akzeptieren sie und arbeiten sie ab. Jungen planen weniger und widersprechen mehr. Mädchen und Frauen galten deshalb als oft kritiklos und weniger innovativ. Heute steht fest: Ihre Bildungsstrategie ist erfolgreicher. Immer mehr Jungen landen auf Sonder- oder Hauptschulen und werden dadurch später auch berufliche Schwierigkeiten haben.
In Zukunft machen also Frauen Karriere, und die Männer bleiben zuhause.
So ein Modell würden gerade diese schulisch gescheiterten Jungen ablehnen. Für sie ernährt der Mann die Familie und verteidigt sie auch körperlich. Sie möchten gerne der Actionheld aus dem Fernsehen sein, der in einer modernen Gesellschaft gar nicht mehr vorgesehen ist. Diesem Modell werden sie nicht gerecht. Das frustriert und macht auch aggressiv.
Woher kommt denn diese Rollenvorstellung?
Sie entsteht vor allem dadurch, dass Jungen nur wenige männliche Vorbilder sehen. Sie werden in erster Linie von Frauen erzogen. Zuhause kümmern sich noch immer vor allem die Mütter. Auch in Kindergärten und Grundschulen arbeiten fast nur Frauen. Mangels Alternative basteln sich die Jungen einen Klischee-Mann aus TV-Bildern. Das Ergebnis ist sehr stereotyp, sehr machohaft und sehr überholt.
Können Kindergärtner und Lehrer Jungen denn mehr über zeitgemäße Männerrollen zeigen als ihre Kolleginnen?
Allein dass Männer in erzieherischen Rollen auftauchen, zeigt Jungen ein anderes Konzept von Mann. Männliche Pädagogen arbeiten zudem oft anders als weibliche. Sie achten mehr auf Leistung, während Frauen mehr auf die Persönlichkeit eingehen und soziale Kompetenzen fördern. Schüler und auch Schülerinnen brauchen beides. Mädchen kommen mit der einseitigen Geschlechterverteilung im Bildungssystem aber offensichtlich besser zurecht. Und auch im Berufsleben sind kommunikative Fähigkeiten zunehmend wichtig. Jungen haben gerade hier Defizite, weil sie nicht lernen, wie Männer mit diesen Anforderungen umgehen. Das kann dann dazu führen, dass sie die Leistung ganz verweigern.
Müssen Jungen dann getrennt von den Mädchen unterrichtet werden?
Bei Mädchen wurde das im Zuge der Frauenförderung in den 60ern und 70ern gemacht. Sie wurden im naturwissenschaftlichen Bereich, wo sie deutlich hinter den Jungen lagen, getrennt unterrichtet und gezielt gefördert – erfolgreich. Im sprachlichen Bereich muss den Jungen heute auch so geholfen werden. Wichtig ist vor allem, mehr Männer an die Grundschulen und in die Kindergärten zu holen.
Wie kann das umgesetzt werden?
Das Problem drängt, deshalb reichen Absichtserklärungen nicht aus. Wir brauchen eine Männerquote, um das Geschlechterverhältnis so schnell wie möglich auszugleichen. Sonst verliert ein großer Teil der heranwachsenden Männer den sozialen Anschluss.
INTERVIEW: MIRIAM BUNJES