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Archiv-Artikel

Der graue Fleck im Osten

In Weißrussland verschärft Präsident Lukaschenko sein autoritäres Regime, und die EU schaut weg. Eine bunte Revolution wie in der Ukraine oder Georgien ist so unmöglich

Man hat verpasst, demokratische Strukturen zu fördern, als Weißrussland noch offener war

An der östlichen Grenze der EU wächst eine Diktatur mit totalitären Zügen heran. Längst wird in Weißrussland an Universitäten und Schulen Staatsideologie unterrichtet. Präsident Alexander Lukaschenko hat sich eigene Studenten- und Schriftstellerverbände geschaffen, Oppositionelle werden aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Regimegegner überlebten politisch und kulturell in kleinen Nischen, die sich nun schließen: Ein neues, bewusst schwammig formuliertes Gesetz bestraft jegliche Kritik an der Regierung und an Weißrussland, die als Revolutionsanstiftung gedeutet werden kann, mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren.

Und was geschieht, wenn Lukaschenko im kommenden März erneut die Präsidentschaftswahlen gewinnt, ist absehbar: Das „Väterchen“ wird sich erneut auf den Thron setzen und der Zivilgesellschaft noch stärkere Fesseln anlegen. Denn ihr traut der findige Machtpolitiker am wenigsten, besonders nach den Umwälzungen in Georgien und in der Ukraine.

Hoffnungen auf eine bunte Revolution, das lässt sich heute schon sagen, werden sich in Weißrussland aber auch in Reaktion auf Wahlfälschungen nicht erfüllen – und sie sind auch nicht angebracht. Die Opposition ist seit Jahren gesellschaftlich isoliert. Das hat sie geschwächt. Einen Teil der Misere verschuldet sie selbst: Sie ist zerstritten, fragmentiert, ihr Ruf ist nicht der beste. Es mangelt ihr an demokratischen Strukturen, attraktiven und glaubwürdigen Programmen und einer charismatischen Führungspersönlichkeit. Zudem ist sie nicht mit Verantwortlichen des Regimes vernetzt, die einer politischen Wende zugeneigt wären. Das hatte etwa in der Ukraine die Durchschlagskraft der Revolution begründet.

Die Unterstützung Lukaschenkos ist seit den letzten Präsidentschaftswahlen 2001 zwar gebröckelt, aber die Mehrheit der Weißrussen unterstützt ihn weiterhin. Zweifelsohne, weil eine Öffentlichkeit fehlt, in der das Regime Lukaschenkos offen diskutiert werden könnten. Der umstrittene Einheitskandidat der Opposition, Alexander Milinkiewitsch, wird bei den Wahlen einen viel größeren Gegner als Lukaschenko zu schlagen haben – seine Unbekanntheit.

Angst vor der Demokratie haben die Weißrussen nicht, doch sie fürchten die sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen und das Chaos, das Transformationsprozesse zunächst kreieren, und die sie in den Nachbarstaaten, der Ukraine oder Polen, gut beobachten konnten. Lukaschenko ist der Fleisch gewordene vermeintliche Schutz vor diesen Ängsten, den sich die Weißrussen selbst geschaffen haben und den sie heute nicht mehr kontrollieren können. Lukaschenko lebt von einer gewissen wirtschaftlichen Stabilität, die auf den hohen Erdgas- und Ölpreisen beruht, von denen Weißrussland als Transitland profitiert. Dies täuscht jedoch nicht darüber hinweg, dass Weißrussland heute ärmer ist als zur Zeit der Sowjetunion. Der Raum für Marktwirtschaft und eine wirtschaftliche Entwicklung ist reglementiert. Der größte Unternehmer des Landes heißt Lukaschenko, 80 Prozent der Staatsbetriebe sind unrentabel.

Vor allem die Europäische Union hat es versäumt, diese Entwicklung Weißrusslands zu beeinflussen. Zunächst hat sie Lukaschenko schlicht unterschätzt. Der einstige Kolchosen-Direktor wurde als kurzweiliges Problem angesehen, das sich von alleine lösen würde. Zweitens hat man es verpasst, die zivilgesellschaftlichen und demokratischen Strukturen zu fördern, als die Wege nach Weißrussland noch offener waren. Die EU förderte zwar weiterhin Projekte im Rahmen des technischen Aufbauprogramms (Tacis), kritisierte Menschenrechtsverletzungen, Verstöße gegen die Pressefreiheit und zusammen mit der OSZE die Wahlfälschungen der vergangenen Jahre. Einen Fahrplan, geschweige denn eine auf Weißrussland zugeschnittene EU-Politik, wurde aber nicht erdacht. Der Verdacht liegt nahe, dass die EU zu zögerlich war, um ihre Beziehungen zu Russland nicht zu beschädigen. Auch Deutschland, dessen auf Russland ausgerichtete Ostpolitik sich in der wahnwitzigen Männerfreundschaft zwischen Schröder und dem Neo-Zaren Putin widerspiegelte, war zu zögerlich.

Dabei hat Deutschland ein politisches Interesse in Weißrussland. Über 600 deutsche NGOs engagieren sich heute in Weißrussland, vor allem im Bereich der Folgeschädenbekämpfung durch Tschernobyl und in der Wiedergutmachungspolitik. Weißrussland ist eines der von der Nazi-Herrschaft am meisten betroffenen Länder, jeder vierte Weißrusse wurde zwischen 1941 und 1944 umgebracht. Nicht der deutschen Außenpolitik, sondern deutschen Bürgern ist zu verdanken, dass Weißrussland hierzulande nicht vergessen wurde. Dabei kann die Bundesrepublik auf dem Weg zu einer Weißrussland-Politik der EU eine tragende Rolle spielen.

Die EU baucht diese Neujustierung in ihrer Politik gegenüber Weißrussland, sie kann erst dann den Gegenpart zur viel kritisierten Demokratisierungspolitik der USA einnehmen, wenn es sich selbst zu einer selbstbewussten demokratischen Wertegemeinschaft bekennt und diese Werte in ganz Europa befördert. Weißrussland ist Prüfstein und Herausforderung für die Frage, wie man in der EU künftig mit Ländern umgeht, die Demokratie und Menschenrechte für Hokuspokus halten.

Nächsten Märzwird „Väterchen“ Lukaschenkosich erneutauf den Thron setzen

Allerdings mehren sich die Anzeichen, dass die EU endlich beginnt, eine Politik für Weißrussland zu entwickeln. Unabhängige Medien sollen aufgebaut, die Opposition unterstützt werden. Javier Solana hat angekündigt, einen Weißrussland-Beauftragten der EU entsenden zu wollen. Zudem will die EU nicht mehr nur Kritik an den haarsträubenden Verstößen gegen Demokratie und Menschenrechten üben, sondern diese auch bestrafen. Politikern wurden Visa verweigert, Konten sollen eingefroren werden, Botschafter in Weißrussland abgezogen werden. Auch werden Wirtschaftssanktionen wieder ernsthaft in Betracht gezogen. Es ist ein Mythos, dass solch drastische Maßnahmen die Akzeptanz der weißrussischen Regierung in der Bevölkerung stärken würden, weil sie sich ohnehin wirtschaftlich und politisch auf Russland verlassen könne. Lukaschenkos Beziehungen zu Moskau unterliegen regelmäßigen Spannungen. Russland ist zwar ein sicherer Absatzmarkt für weißrussische Produkte, doch Weißrussland braucht auch die EU: Für Direktinvestitionen, Know-how und für Hightech-Transfer. Bleiben sie aus, treffen sie Lukaschenko dort, wo es ihm wehtut. Die Menschen werden verstehen, dass der Autokrat ihnen Perspektive und damit Zukunft vorenthält. Gleichzeitig ist ein neuer, verstärkter „kritischer Dialog“ zwischen Demokraten und Regimebefürwortern des Landes nötig und sollte unterstützt werden. Erst nach einem solchen Verständigungsprozess ist auch eine Revolution möglich und sinnvoll – die das Land nicht nur ins Chaos stürzt, sondern auch zu einem nachhaltigen Erfolg führt.

INGO PETZ