: Spiel mir das Lied vom Kinosterben
2005 war kein gutes Kinojahr. Auch in Berlin blieb der erhoffte Besucheransturm aus. Daran ändern auch Zuschauermagneten wie „Harry Potter“ oder „King Kong“ nichts. Um den negativen Trend zu wenden, versucht sich die Branche in Innovationen
von Christo Förster
2006 wird alles besser, da ist Johannes Klingsporn sicher. In bester Hollywood-Manier sieht der Geschäftsführer des Verbands der Filmverleiher nach vorn. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig, denn die Kinobranche hat ein düsteres Jahr hinter sich. Besonders getroffen hat es die Berliner Kinobetreiber. Bis Ende November lagen die Besucherzahlen in den deutschen Kinos um mehr als 20 Prozent unter denen des Vorjahrs.
Zwar geht Klingsporn davon aus, dass Kassenschlager wie „Harry Potter“ oder „King Kong“ die Zahlen bis zum Jahresende etwas nach oben korrigieren werden. Aber selbst das würde nichts an der nüchternen Erkenntnis ändern: Die Kinobranche steckt in einer tiefen Krise. Auch die Erklärung, das Kinobusiness sei ein zyklisches Geschäft, in dem „immer mal wieder Durststrecken“ auftreten könnten, klingt sehr nach Zweckoptimismus.
Zu viele Kinos in Berlin
Dass vor allem der Größenwahn der Multiplex-Kinobetreiber Ursache der Krise ist, zeigt sich nirgendwo so deutlich wie in Berlin. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Kinos hier nahezu verdoppelt – auf 300. „Overscreening“ in der Hauptstadt. In den 90er-Jahren, als die Multiplex-Technik neu und die Entertainment-Alternativen gering waren, boomte die Branche. Kleckern war out, Klotzen in. Ein Popcornpalast nach dem anderen wurde aus dem Boden gestampft.
Mittlerweile geben sich die Protagonisten der Branche in der Öffentlichkeit zwar immer noch zuversichtlich, aber hinter den Kulissen wird hektisch gerudert – und zwar zurück. Nachdem der Multiplex-Gigant Cinemaxx im Taumel der Anfangserfolge oft Mietverträge mit sehr langen Laufzeiten abgeschlossen hatte, wies das Betriebsergebnis des Unternehmens im ersten Halbjahr 2005 8 Millionen Euro Miese auf. Nun sucht man nach kreativen Wegen, die teuren Klötze am Bein wieder loszuwerden.
Paradebeispiel ist das Colosseum in Prenzlauer Berg: Eigentümer Artur Brauner hatte das Traditionskino für 30 Millionen Euro denkmalgerecht umgebaut und für 20 Jahre an die Cinemaxx AG vermietet. Die Besucherzahlen blieben jedoch weit hinter den Erwartungen zurück, die Cinemaxx AG kündigte den Kontrakt vorzeitig zum 31. Dezember 2005 wegen „erheblicher Baumängel“. Brauner, dem dadurch nach eigener Aussage Einnahmeverluste von 25 Millionen Euro drohen, zog vor Gericht. Wie und wann dort entschieden wird, ist noch unklar. Bis zum Ende des Rechtsstreits wird das Colosseum zunächst von der Cinemaxx AG weiterbetrieben.
Dass die Cinemaxx AG ausgerechnet das altehrwürdige Colosseum loswerden will, ist erstaunlich, sagte Vorstandsvorsitzender Hans-Joachim Flebbe doch angesichts der Branchenkrise erst kürzlich, er wolle „dem Kino die Seele zurückgeben“.
Plüsch statt Kälte
Von Kronleuchtern, Samtvorhängen, Parkettböden und Sofa-Lounges war die Rede. Ambiente statt kühler Cola-Atmosphäre. Schwer vorstellbar, dass dies in einem der anonymen Großkinos in den Einkaufszentren besser umzusetzen wäre als im historischen Bau an der Schönhauser Allee.
Dem Ruf nach mehr Seele liegt die Absicht zugrunde, Kino wieder zum Erlebnis zu machen und den Siegeszug des Heimkinos zu stoppen. Immer günstigere DVDs, die immer eher in den Regalen stehen, immer bessere Hightechgeräte für die eigenen vier Wände graben Flebbe und Co das Wasser ab. Die Kernzielgruppe der Großkinos, Männer unter 25, ist zuletzt völlig weggebrochen. Für Hoffnung sorgen allein die über 50-Jährigen, deren Anteil an den Gesamtbesuchern seit 1994 um 180 Prozent gestiegen ist.
Von dieser Entwicklung profitieren Programmkinos wie das Blow up, das genau wie das Colosseum in Prenzlauer Berg liegt. Zwar spürt man dort die Auswirkungen der Branchenkrise ebenfalls. Die Besucher dort sind jedoch im Durchschnitt deutlich älter. Deshalb ist die Flaute nicht ganz so krass.
Einen anderen Erfolg versprechenden Trend, der aus den Programmkinos kommt, wollen nun auch die Multiplexe aufgreifen – das „Public Viewing“ von TV-Ereignissen wie Fußballspielen oder Fernsehkrimis. Mit dem neuen Technologiestandard DCI (Digital Cinema Initiatives) soll dies künftig auch auf den Riesenleinwänden laufen – die WM naht.
Sogar Interviews mit Hollywood-Stars sollen demnächst per DCI live in verschiedene Kinosäle übertragen werden. Die Vision vom digitalen Kino lässt die Branche zwar einmal mehr frohlocken. Die harte Landung nach dem letzten Höhenflug hat sie aber auch ein wenig vorsichtiger gemacht. „Sei kein Pionier, sei ein schneller Nachzügler“, sagt Johannes Klingsporn. Der Rausch ist vorbei.