: Keine Kohle für die Kohle
Die Probleme von ALG-II-Empfängern mit Kohleofen lassen Jobcenter kalt. In einem Neuköllner Haus warten einige schon lange auf Brennstoffhilfe
VON HEIKE SCHMIDT
Das Verlängerungskabel für den elektrischen Fuchsschwanz reicht gerade bis auf den Dachboden des Mietshauses am Neuköllner Maybachufer. Dorthin zieht sich Hubert Jäger zurück, wenn er wieder ein paar Holzpaletten organisieren konnte. „Gott sei Dank kenne ich die Leute unten vom Markt“, sagt der 48-Jährige und wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Die wissen ja auch nicht, wohin mit den ganzen Dingern. Dabei ergeben die prima Feuerholz!“
Viele Langzeitarbeitslose wie Hubert Jäger sind in diesem Winter auf ihren Erfindungsreichtum angewiesen, wenn sie nicht frieren wollen. Das zu Jahresbeginn in Kraft getretene Sozialgesetzbuch (SGB) II legt fest, dass der Staat jedem Empfänger von Arbeitslosengeld (ALG) II die Miete für eine „angemessene“ Wohnung bezahlt. Dabei werden neben der Kaltmiete auch die Heizkosten übernommen. Die Obergrenze für die Warmmiete liegt in Berlin bei 360 Euro. Viele Betroffene wie Jäger ziehen die wesentlich billigeren Wohnungen mit Ofenheizung vor, wenn sie ein paar Quadratmeter mehr haben wollen. Natürlich hat die Senatssozialverwaltung bei der Umsetzung des SGB II auch an die Ofenheizer gedacht und Pauschalen für feste Brennstoffe definiert. Für lose Kohle, die einmal zu Winterbeginn eingelagert wird, erhält ein Ein-Personen-Haushalt 349,80 Euro im Jahr, für Kohlebündel, also Briketts, sind es 402,60 Euro. Gemäß Sozialgesetzbuch ist die Brennstoffhilfe „in einem Betrag pauschaliert zu gewähren“.
Schlecht nur, wenn das Geld trotz mehrfach gestellter Anträge nicht ausgezahlt wird. Herr Jäger und noch mindestens zwei andere ALG-II-Empfänger aus dem Hinterhaus am Maybachufer 8 haben lange in ihren eiskalten Wohnungen gewartet. Herr Jäger weiß, dass seine Nachbarn die gleichen Probleme mit dem Kohlengeld haben wie er. Er geht daher von einem „strukturellen Problem“ aus. „Wahrscheinlich hat das einfach nicht mehr in den Haushalt gepasst“, konstatiert er trocken.
Die für Hubert Jäger und seine Nachbarn zuständige Arbeitsagentur Süd will von größeren Schwierigkeiten mit den Brennstoffhilfen nichts gehört haben. Pressesprecher Uwe Mählmann sieht Bewohner von Unterkünften ohne Zentralheizung „nicht im Nachteil“. Die Hilfeempfänger müssten „eine Pauschale beantragen oder in Vorleistung treten und die Kosten nachweisen“. Beide Alternativen seien aber gleichberechtigt möglich.
Trotz der auffälligen Häufung im Haus Maybachufer 8 sprach Mählmann in einem ersten Telefonat mit der taz vor einer Woche von „Einzelfällen“. Die genauen Gründe für die langen Bearbeitungszeiten seien ihm nicht bekannt. Gestern teilte der Agentursprecher mit, alle Betroffenen aus dem Haus hätten inzwischen ihre Kohlengeldbescheide bekommen. Ob das Geld bereits auf den Konten der ALG-II-Empfänger eingegangen sei, konnte Mählmann nicht sagen. Auch die Höhe der Brennstoffhilfen bezifferte er nicht genau. Die Pauschalen seien „lediglich ein Anhaltspunkt“.
Fälle wie die von Hubert Jäger und seinen Nachbarn verstärken den Eindruck, dass die Berliner Jobcenter immer noch große Schwierigkeiten haben, sich in der eigenen Bürokratie zurechtzufinden. Trotz der eindeutigen Maßgabe des Senats, den Betrag für Festbrennstoffe pauschal zu überweisen, müssen viele ALG-II-Empfänger das Geld wohl oder übel erst einmal auslegen und darauf warten, es erstattet zu bekommen. Offen bleibt auch, wer bei 345 Euro Monatsbudget – dem ALG-II-Regelsatz – 400 Euro für den Kohlehändler vorstrecken kann.
Als Sozialhilfeempfänger hatte Hubert Jäger nie Probleme mit dem Kohlengeld. Rund 400 Euro habe ihm das Sozialamt in den vergangenen Jahren jeweils im September überwiesen. Dieser Betrag habe dann für den gesamten Winter ausgereicht: „Da lagerte man im September zwei Tonnen Kohle ein, im Herbst ist sie auch nochmal billiger.“ Das weiß selbstverständlich auch der Senat. In einem Rundschreiben vom Beginn des Jahres empfahl die Sozialverwaltung den Mitarbeitern der Jobcenter, Hilfeempfänger sollten „im Bescheid darauf hingewiesen werden, den Frühkaufrabatt (…) in Anspruch zu nehmen“.
Um wie in den vergangenen Jahren die günstigeren Kohlen zu bekommen, hatte Jäger seinen Antrag im September gestellt. „Ich habe gleich im Oktober mit einer Postkarte nachgemahnt“, sagt er, eine Durchwahl zu der für ihn zuständigen Sachbearbeiterin habe er nie erhalten. Solange er das Kohlengeld noch nicht hat, kann er den Brennstoff nur in kleinen Mengen im Supermarkt kaufen. Ohne den Rabatt, der beim Kauf einer größeren, für den Winter ausreichenden Menge gewährt wird, schlägt die Kohle mehr als doppelt so teuer zu Buche. Und deshalb ist es in Hubert Jägers Wohnung immer noch kalt. „In der Küche heize ich gar nicht mehr“, sagt er. Und der Kachelofen im Wohnzimmer wird nur dann angefeuert, wenn zwei Pullover übereinander nicht mehr wärmen.
Monika Sadowski, eine Nachbarin von Jäger, bezieht seit Mitte des Jahres Arbeitslosengeld II. Sie stellte ihren Antrag auf Heizkostenübernahme im September. Als die Temperaturen dann im November rapide absanken, hatte sie noch immer kein Geld vom Jobcenter erhalten. Sie lieh sich 200 Euro bei Bekannten, um eine Tonne Kohle bestellen zu können. Im Dezember war Sadowski persönlich im Jobcenter an der Sonennallee, fünf Stunden hat sie gewartet. Schließlich erfuhr sie, dass ihr Antrag noch nicht bearbeitet werden konnte – man werde sich aber darum kümmern. Die genaue Höhe der ihr zustehenden Brennstoffhilfe konnte der Sachbearbeiter nicht nennen. Sadowski fühlte sich „vertröstet“.
Thomas Kleinschmidt lebt im Parterre des Hinterhauses. Er hat noch größere Probleme mit den Heizkosten als seine Nachbarn. Da sein alter Kachelofen nicht genug Wärme abstrahlt, hat er einen Gasofen angeschafft. Wenigstens in einem Raum seiner Wohnung möchte er es warm haben. Anfang 2005 beantragte er die Kostenerstattung für den Gasverbrauch. Da das Jobcenter diesen Betrag für zu hoch hielt, musste er ein zeitaufwändiges Widerspruchsverfahren führen. Obwohl Kleinschmidt nach eigenen Angaben mehrfach schriftlich nachgehakt hat und auch persönlich vorstellig wurde, erhielt er bis zum Dezember keine Gaskostenerstattung.
Auf dem Dachboden türmt sich ein beachtlicher Holzstapel neben Hubert Jäger. Er hat genug gesägt für heute, die nächsten Tage im Warmen sind gesichert. Und wenn auf den Kohlengeldbescheid dann auch das Kohlengeld folgt, muss er erst mal kein Feuerholz mehr klein machen. Aber der nächste Winter kommt bestimmt.