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Archiv-Artikel

Medizinische Zeitbomben

Dora Akunyili, Pharmakologin und Leiterin der nigerianischen Arzneimittelbehörde, kämpft trotz Anschlägen und Morddrohungen seit Jahren gegen den Vertrieb von gefälschten Medikamenten

VON STEFFEN GRIMBERG

Vor fünf Jahren noch war Nigeria die Müllhalde des internationalen Medikamentenhandels: Über die Hälfte aller Präparate waren Fälschungen, die mal zu wenig, mal gar nichts von den auf der Verpackung angegebenen Wirkstoffen enthielten. Und auch viele „echte“ im Umlauf befindliche Pharmazeutika glichen eher medizinischen Zeitbomben, weil ihre Haltbarkeit längst abgelaufen war. Heute, sagt die Chefin der nigerianischen Lebensmittel- und Medikamentenbehörde NAFDAC, ist die Zahl der gefälschten oder verdorbenen Medikamente im Land um 80 Prozent gesunken.

Doch Dora Akunyili, selbst Pharmakologin und 2001 vom nigerianischen Präsidenten höchstpersönlich auf den Schleudersitz an der Spitze der NAFDAC gesetzt und eben im ehrwürdig britischen House of Lords als „Grassroots Human Rights Campaigner 2005“ geehrt, bleibt realistisch: „Wir haben viel erreicht. Gelöst ist das Problem aber noch lange nicht.“

Rund 7 bis 10 Prozent beträgt weltweit der Anteil gepanschter Medizin am gesamten Medikamentenaufkommen, schätzt die internationale Pharmaproduzenten-Vereinigung IFPMA. Der Marktwert beträgt weit über 25 Milliarden Euro im Jahr. Die Firmen, die mit der Gesundheit in den ärmsten Ländern der Welt ihre skrupellosen Geschäfte machen, sitzen vor allem in Indien und China, sagt Akunyili. „Korruption ist dabei der entscheidende Faktor, nicht nur in Nigeria.“ Denn zuallererst würden die Fälscher und ihre Zwischenhändler natürlich versuchen, „die Zulassungsstellen selbst zu korrumpieren“. In Nigeria gelang das bis 2001 in einem Grade, dass der legale Medikamentenhandel völlig zusammenbrach und die letzten internationalen Pharmakonzerne frustriert das Land verließen.

Unter Akunyili wandelte sich die NAFDAC: InspektorInnen – überwiegend Frauen – durchkämmten die vielen Medizinmärkte des Landes, wöchentlich wurden im Rahmen einer großen Öffentlichkeitskampagne die eingezogenen Fälschungen verbrannt. „Aufklärung ist das Entscheidende“, sagt Akunyili. Ihr eigener Kampf gegen gepanschte Medikamente begann 1988, als ihre an Diabetes leidende Schwester durch vermutlich verdünntes Insulin starb.

Aufklären – und anprangern: „Die Presse ist unsere stärkste Waffe gegen die Fälscher.“ Denn wer durch illegale Geschäfte reich geworden ist, wolle sich nicht als „Mörder der Kranken“ in der Zeitung stehen sehen. Heute können sich die Importeure gefälschter Präparate selbst anzeigen – „und wir sind in der Lage, innerhalb von 48 Stunden das meiste dieser Verbrechermedizin wieder einzusammeln“, so Akunyili.

Obwohl offiziell alle in Nigeria erhältlichen Medikamente eine Zulassung der NAFDAC brauchen, geht das Geschäft weiter. Viele der regulären Medikamente sind für die Durchschnittsbevölkerung weiterhin zu teuer. Und auch die Rolle der internationalen Pharmakonzerne, die zum Teil wieder ins Land zurückgekehrt sind, ist zwiespältig: Durch ihr Beharren auf Patente und Lizenzgebühren bleiben die Preise hoch.

Auch die charismatische NAFDAC-Chefin gibt sich in diesem Punkt ungewohnt zurückhaltend: „Natürlich würde es helfen, wenn Medikamente billiger würden“, sagt Akunyili – doch eine solche Forderung sei „außerhalb meines Mandats: Ich dränge nicht auf niedrigere Preise, ich dränge auf Qualität.“

Dass sie sich sichtlich nicht mit den Großen der Branche anlegen will, hat mehrere Gründe: Am Anfang seien internationale Konzerne wie einheimische Pharmaproduzenten ihrem Engagement höchst „zurückhaltend begegnet“, sagt Akunyili – und man ahnt: Das ist noch sehr höflich formuliert. Hatte früher ein Unternehmen Hinweise darauf, dass gefälschte Versionen seiner Medikamente in Umlauf waren, waren Totschweigen und Leugnen an der Tagesordnung. „Sie wären nie mit einer Anzeige zur mir gekommen, weil sie ihren Absatz nicht gefährden wollten“ – heute ziehe man zumindest hier an einem Strang, berichtet Akunyili.

Gar nicht äußern will sie sich zum Problem illegaler Generika, also von der Wirkung her gleichwertiger Präparate. Sie helfen vielen Kranken, bringen aber die Pharmamultis um ihre Lizenzeinnahmen. Deshalb werden sie von den Unternehmen mit den gefälschten Medikamenten in einen Topf geworfen und beinahe noch heftiger bekämpft. Und dann hat „Madam“, wie Akunyili in Nigeria respektvoll genannt wird, noch ein paar ganz andere Sorgen: Zwar steht der Präsident formal voll hinter seiner NAFDAC-Chefin, deren Vertrag im nächsten Frühjahr ausläuft. Doch das Gesetz, das für den Handel mit gefälschten Medikamenten gerade mal Geldstrafen von umgerechnet rund 3.000 Euro oder maximal drei Jahre Haft vorsieht, wird entgegen vollmundigen Ankündigungen weiterhin nicht verschärft.

„Diese Verbrecher haben tausende Menschen auf dem Gewissen, und dauernd ist von einer Überprüfung der Rechtslage die Rede, aber dann passiert nichts“, klagt Akunyili. Dazu kommt dann noch die persönliche Bedrohung vieler NAFDAC-MitarbeiterInnen durch die noch immer mächtige Medizinmafia: 2002 brannten die NAFDAC-Labors in Lagos, immer wieder werden Einrichtungen der Behörde verwüstet. Zum Weihnachtsfest 2003 flüchtete sich Akunyili nach mehreren Morddrohungen ins Dorf ihrer Eltern. Bei der Rückfahrt wurde ihre Wagen beschossen, sie selbst zum Glück nur leicht am Kopf verletzt. Der Fahrer eines vorausfahrenden Busses verstarb dagegen noch am Ort des Attentat. Seiner Familie will Akunyili jetzt einen Teil des Preisgeldes für den Grassroots-Award zukommen lassen, der Rest fließt an Schulprojekte.

Ihre Familie dränge sie seit Jahren, ihren Job aufzugeben und auf keinen Fall über das Frühjahr 2006 zu verlängern, erzählt Akunyili. Ihr eigener Sohn hat sie aus Angst vor Repressalien vor der Presse verleugnet und als „entfernte Tante“ dargestellt. Doch Akunyili hat noch viel vor: „Internationaler Druck ist nötig, um Produzentenländer wie Indien und China endlich davon abzubringen, aus eigenen Wirtschaftsinteressen auch noch schützend ihre Hand über die Hersteller von gefälschten Medikamenten zu halten“, sagt Akunyili. Weil dank NAFDAC die Einfuhr nach Nigeria immer schwieriger wird, weicht die Medizinmafia zudem auf die Nachbarländer aus. „Und viele Länder in Afrika haben nicht einmal Überwachungsbehörden wie NAFDAC, geschweige denn, dass sie funktionieren.“