: Die Causa KuKuClock
Weihnachtstipps für Kurzentschlossene: Drei Sportbücher, die sich mit brasilianischem Fußball, einer geglückten Bestechung und dem Drama des vierten Platzes beschäftigen
Güldene Zeiten
Unvergleichlich, wie er sich jeden Ball auf den rechten Fuß legt, weil er mit dem linken überhaupt nichts kann.“ – „Seine fußballerischen Stärken sind so brasilianisch wie Schweinshaxe mit Sauerkraut.“ Unglaublich, aber wahr: Derlei Sätze liest, wer in der neuesten Publikation über den Mythos des brasilianischen Fußballs schwelgt. Und um es gleich vorweg zu sagen: Es ist ein grandioses Buch.
Deshalb, weil das in Frankfurt lebende Autorenduo Gerd Fischer und Jürgen Roth einen schwierigen Spagat schafft: Dem Zauber brasilianischer Fußballkunst zu erliegen und zugleich ein kritisches Bild zu zeichnen, denn nicht alles ist gülden, was rund um den Zuckerhut gedeiht. Die Autoren stellen die Entwicklungsphasen in der Historie des „Sambafußballs“ vor.
Sie beschreiben politische Machenschaften, die Folgen fortschreitender Urbanisierung („Das freie Land, wo die Kinder früher Fußball spielen lernten, ist zugebaut“), den Spielerhandel als rabiates Ausplünderungssystem (Karl-Heinz Rummenigge: „Argentinier sind etwas robuster und kommen vom Klima und der Mentalität her besser in Deutschland zurecht“) und sparen auch die Trostlosigkeit des Fußballalltags nicht aus. Um dann auch das zu bedienen, was wir von einem solchen Buch erwarten: Sentenzen jenseits abgegriffener Worthülsen zu finden für die einzigartige Magie eines Fußballs, der bereits tausendfach beschrieben wurde. Und auch das gelingt: Dem Mythos neue und bisweilen amüsante Seiten abzugewinnen, sei es nun, augenzwinkernd das brillante Kurzpassspiel der Brasilianer lakonisch damit zu erklären, dass einem ja bei den gewaltigen Temperaturen in Südamerika nichts anderes übrig bliebe; oder sei es, das unstillbare Verlangen nach dem Ball damit zu erklären, dass er im Portugiesischen (bola) ja weiblich ist.
Und dann tauchen sie im Buch alle auf: Leonidas da Silva und José Andrade als frühe WM-Helden, Garrincha und Rivelino, Zico und Pelé, Ronaldo und Ronaldinho, der große Mario Zagallo und das gigantische Maracana, und später im Anhang, der „ein sitten- und spielgeschichtliches Lexikon“ ist, all diejenigen, die im hiesigen, zuweilen grauen Ligaalltag „den Zauberstab rausholen“ (TV-Kommentator Steffen Simon).
Wobei an dieser Stelle ein Stück Ehrenrettung betrieben werden soll: Es gibt ein eigenes Kapitel über Marcelo Pletsch, den „schlechtesten Brasilianer der Bundesliga“. Ob das angesichts der spieltaktischen Verirrungen diverser brasilianischer Abwehr- und Nationalspieler, etwa in Diensten von Bayer Leverkusen, nach dieser Saison noch haltbar sein wird, das bleibt abzuwarten.
Mit einem Blick zurück auf das WM-Finale von 2002 und mit der spitzfindigen Fragestellung, wie brasilianisch die Deutschen, wie deutsch die Brasilianer denn nun gespielt, wie viele „weiße Brasilianer“ die unsrigen wohl in ihren Reihen gehabt haben und ob Wortneuschöpfungen à la „Ramelson und Denilow“ überhaupt statthaft oder doch nur lachhaft sind, mit all diesen wunderbaren Fragen lässt das Buch im „Das Fatum der Vergeblichkeit“ überschriebenen Beitrag auch den Blick nach vorn zu – und nähert sich einem Vergleich zwischen dem brasilianischen und dem deutschen Fußball. Dazu sagte einst Kurt Brumme: „Natürlich dürfen beide heute unbestritten das Recht in Anspruch nehmen, eine Mischung von Superlativen in ihrem Spiel gefunden zu haben.“ Diese Analyse liegt mehr als 30 Jahre zurück, und wenn es einen gerechten Fußballgott gibt – der ja angeblich sowieso Brasilianer ist – und überdies Fischer und Roth nicht irren, dann kommt es am 9. Juli 2006 nicht zu einer Neuauflage des „nachgeholten Endspiels des 20. Jahrhunderts“ zwischen Brasilien und Deutschland. Nein, das soll nicht wieder vorkommen. REINER LEINEN
Gerd Fischer/Jürgen Roth: „Ballhunger – Vom Mythos des brasilianischen Fußballs“, Verlag Die Werkstatt, 296 Seiten, 18 €
Faxe aus Frankfurt
Der Traum ist aus. Gerne hätte Martin Sonneborn, Chefredakteur des Magazins Titanic, noch ganz viele Fußball-Weltmeisterschaften nach Deutschland geholt. Aber es wurde ihm verboten. Der Deutsche Fußball-Bund ließ ihn unter Androhung einer Schadenersatzsumme von 300 Millionen Euro eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Dabei hatte der Humorist aus der DFB-Zentrale Frankfurt keine Mühen gescheut, uns die Fußball-WM zu bescheren.
Im allgegenwärtigen Auslosungs- und Optionskartentaumel erinnert sich nur kaum noch jemand daran, wem wir diesen Triumph zu verdanken haben. Zur Beseitigung dieses Missstandes möchte der Hauptakteur mit seinem Buch beitragen. Auf 125 Seiten beschreibt Sonneborn im Tagebuchstil, wie man mal eben die Abstimmung in die gewünschten Bahnen lenkt. Minutiös gibt er seine Vorgehensweise preis; zahlreiche, häufig abschweifende ironische Anmerkungen kommentieren die Vorgänge. Dem Leser wird die einfache Durchführung eines Bestechungsversuches höchst anschaulich und detailliert beschrieben. Das sieht so aus: Am Mittwochabend, 5. Juli 2000 verschickt Sonneborn Bestechungsbriefe mit dem Titanic-Redaktionsfax. Diese gehen an sieben Fifa-Senioren, die über die WM-Bewerbung zu entscheiden haben. Darin verspricht er ihnen in feinstem Schulenglisch „a fine basket with specialities from the black forest, including some really good sausages, ham and – hold on to your seat – a wonderful KuKuClock!“
„Do we leave you any choice?“, fragt Sonneborn in seinem Brief scheinheilig unter anderem den Delegierten Charles Dempsey. Der Vertreter des ozeanischen Verbands ist eigentlich beauftragt, für den Konkurrenten Südafrika zu votieren. Durch das Fax stark verunsichert, enthält sich der Neuseeländer der Stimme, sodass Deutschland den Zuschlag für die WM erhält.
Nach seiner Flucht vor den Medien mit den Nerven am Ende gibt der 78-Jährige zu Protokoll: „This final fax broke my neck.“ Als Sonneborns Aktion ruchbar wird, hetzt die Bild-Zeitung gegen die Titanic-Macher. Sie drängt ihre Leser, Sonneborn anzurufen und ihm die Pest an den Hals zu wünschen; diese reagieren natürlich prompt („Wenn ihr in Amerika wärt, dann wärt ihr direkt am Stuhl!“). Die Berliner BZ druckt Sonneborns Antlitz mit der Überschrift: „Dieser Feind des Fußballs steckt dahinter“. Bei den Boulevard-Medien geht die Angst um, man könnte das Großereignis wegen des Sonneborn-Streichs wieder verlieren. Selbst Jens Weinreich, Sport-Chef der Berliner Zeitung, seines Zeichens Wächter-Preisträger 2005 und Enthüller der finanziellen Machenschaften bei der Leipziger Olympiabewerbung, ist baff. „ ‚Mensch, wisst ihr überhaupt, was ihr da getan habt?‘ “, flüstert Jens, das Tier“, wie Sonneborn seinen gelegentlichen Fußballkumpel nennt.
Die Titanic-Mannschaft macht aus der telefonischen Belagerung der Bild-Leser („Sie sind ein ganz großes Schwein, die Titanic. Man sollte Sie auswandern!“) das Beste und schneidet die Beschimpfungen auf Band mit. Diese dienen der Titanic in Form einer CD heute als beliebtes Abogeschenk. Insgesamt wird das Sonneborn’sche Werk seiner ironisch-staatstragenden Überschrift „Ich tat es für mein Land“ in spaßiger Weise gerecht. Dieses Buch bietet beste Unterhaltung und ist, wie so viele Schriften aus der Produktion des Titanic-Dampfers, ein Leuchtfeuer in trüben Dezembertagen. Und es ist historisch wertvoll, denn sogar der ehemalige Teamchef Rudi Völler ist vom Low-Budget-Bestechungs-Projekt per Kuckucksuhr begeistert: „Ich möchte mich noch bedanken, die Jungs von Titanic haben die WM nach Deutschland geholt.“ Glückwunsch!
CHRISTIAN ZINGEL
Martin Sonneborn: „ ,Ich tat es für mein Land‘ – Wie TITANIC einmal die Fußball-WM 2006 nach Deutschland holte: Protokoll einer erfolgreichen Bestechung“. Bombus-Verlag, München, 125 Seiten, 12,90 €
Ehrlicher Sport
Die Zahl vier wird von Spitzensportlern nicht eben geschätzt. Für einen wahren Sportehrgeizling kann es nichts Schlimmeres geben, als bei einer wichtigen Veranstaltung nur den vierten Platz zu erreichen und bei der Siegerehrung neben dem Podest zu stehen. Ein Sportbuch mit dem Titel „Vierter“ wird sich kaum mit der Welt des Leistungssports befassen. Die von Henning Harnisch, Oliver Kleinschmidt, Valerie Trebeljahr und Julian Weber herausgegebene Sammlung von Kurzgeschichten, Interviews und Dokumentationen macht sich auf die Suche nach sportiven Erinnerungen, nach Begegnungen mit der Welt des Sports. Dabei gehen die Autoren auf eine Reise, die die ungewöhnlichsten Sportstätten streift, die großen Sport bisweilen klein, und kleinen Sport oft groß erscheinen lässt. Es ist ein Buch für Sportliebhaber – auch für unsportliche.
Da berichtet ein Sportlehrer, den es nach der Ausbildung zum Bewegungspädagogen in Berlin eher unfreiwillig nach Mecklenburg-Vorpommern verschlagen hat, wie schwer es ist, sich einzuleben. Er erzählt, dass die Lehrer, die dort schon immer Sport unterrichtet haben, ihre Schüler zu den mittlerweile als gesundheitsschädlich anerkannten Rumpfbeugen anhalten, weil das immer so war. Und dennoch ist der Zugezogene milde gestimmt. Auch wenn es Jahre dauert, bis man die engsten Kollegen duzt, es lässt sich aushalten als Sportlehrer im nordostdeutschen Flachland.
Doch es gibt Orte, die sind in sportlicher Hinsicht viel abseitiger. Das Geschehen auf Cricketplätzen etwa ist für Deutsche nur schwer zu verstehen. Aditya Sharma dokumentiert in seinem Text „England vs. Sri Lanka“, wie zwei Kommentatoren über ein Cricketspiel berichten, als sei es die normalste Sportveranstaltung der Welt. Das ist es ja auch – nur eben nicht hier.
Eine eigene Rolle spielt Tennis in dem Buch. An verschiedenen Stellen taucht er auf, wie eine untergegangene Sportart aus längst vergangenen Zeiten wird er wahrgenommen. Stephanie von Beauvais schreibt über eine Jugend im Provinztennisclub und erinnert sich, wie die Mitglieder den ersten Wimbledonsieg des jungen Boris Becker wahrgenommen haben: „Und dann passiert es: Das Baby strampelte sich bis zum Blumentopf hoch.“ Es sind distanzierte Erinnerungen.
Die Hinterhofmeisterschaften im Tischtennis in Franz Doblers Text „Vom Leben und Sterben an der Platte“ werden dagegen aus liebevoller Nähe geschildert: „Spieler werden mit Zwischenrufen gestört, Kinder stehen im Weg.“ Es ist nichts perfekt an einem Tischtennisnachmittag – auch das eigene Spiel nicht. Und mancher unsportlich wirkende Gegner kann einen schier zur Verzweiflung treiben. Denn Tischtennis gehört zu den Sportarten, „in denen der dicke ältere Mann was können kann“. Wohl wahr.
Fotos von Skisprunganlagen im Sommer, von einem Basketballfeld auf dem Sandstrand, Florian Sußmaiers Gemälde „Marseille“, ein nächtliches Fußballstadion, transportieren die Faszination und die Absurdität des Sport gleichzeitig. Wer ein Buch wie „Vierter“ macht, der hat vieles auszusetzen am Sport, er muss ihn aber auch lieben. Es ist ein ehrliches Buch.
ANDREAS RÜTTENAUER
Henning Harnisch, Oliver Kleinschmidt, Valerie Trebeljahr, Julian Weber: „Vierter. Sportbuch“. ID Verlag, Berlin 2005, 128 Seiten, 19,80 €