BERNHARD PÖTTER über KINDER
: Eine Zensur findet nicht (immer) statt

Schluss mit kindisch (I): Wie verändert es eine Familie, wenn der Vater fünf Jahre lang Kolumnen über sie schreibt?

Ich weiß übrigens, warum du aufhörst mit deiner Kinderkolumne“, sagt mein Freund Frank.

Ich liebe es, von anderen darüber aufgeklärt zu werden, warum ich etwas tue, ehe es mir selbst ganz klar ist.

„Ist doch offensichtlich“, meint Schlauberger Frank: „Jonas ist jetzt in der zweiten Klasse. Bald kann er richtig gut lesen. Und dann wird er sehen, was du alles über ihn und seine Geschwister schreibst.“

Ein interessanter Gedanke. Voll auf der Linie von reaktionären „Heilige Familie“-Fans und ähnlich vernagelten Kollegen, die sich periodisch über den Zustand der Welt ins Blatt erbrechen. Motto: Pötter benutzt seine armen Kinder für seine beruflichen Ziele. Er beutet – schluchz! – die unschuldigen Wesen aus. Davon, wie die Kinder mich ausbeuten, ist allerdings nie die Rede.

Aber die Frage ist berechtigt: Was bedeutet es für eine Familie, wenn der Vater fast fünf Jahre lang alle zwei Wochen über sie schreibt?

Die Antwort: eigentlich gar nichts.

Fragen wir die Kinder: Jonas, Tina und Baby Stan finden es lustig, wenn sie mein Bild in der Zeitung sehen. Sie prahlen vor anderen Kindern damit, dass ihr Vater drei Bücher über sie und ihre Geschwister geschrieben hat. Lese ich ihnen die Geschichten vor, wundern sie sich, wen so was interessiert. Und sie lachen an den falschen Stellen. Anna ist meine Lektorin und tolerante Zensorin. Von über 100 Geschichten hat sie nur eine verboten. Nach der Geburt von Tina hatte ich spekuliert, wie das mit einem dritten Kind sei. Anna wollte diese Debatte nicht in der Zeitung lesen. Zweieinhalb Jahre später hatte das natürliche Wachstum unserer Familie diese Zensur überflüssig gemacht. Einschränkungen der Pressefreiheit gibt es auch von anderen Lobbygruppen.

Stan zieht den Netzstecker am Laptop, kurz bevor ich fertig bin; Tina verweigert immer dann den Mittagsschlaf, wenn um 14.30 Uhr Abgabeschluss ist. Ab und zu verbietet Jonas mir, über eine seiner Aktionen zu schreiben. Wenn seine Laune dann wieder besser war, besteht er darauf, dass ich darüber berichte.

Jonas, Tina, Stan und Anna heißen selbstverständlich nicht Jonas, Tina, Stan und Anna. Sie sind vielleicht zu 70 Prozent naturidentisch mit meiner Familie. Die übrigen 30 Prozent sind entscheidend. Jonas ist zu hintersinnig für sein reales Alter Ego, Tina ist zu zickig, Stan ist zu sehr Baby, und Anna ist zu klug. (Ich bin noch viel blöder als in den Kolumnen). Die Geschichten haben wir zum großen Teil wirklich erlebt, und der Stoff geht nicht aus. Im Gegenteil: Die wirklich schrägen Erlebnisse mit Kindern und Familie kann man nicht mal in einer taz-Kolumne erzählen.

„Hier, schau mal!“, ruft da Frank mitten in meine Rechtfertigungsgedanken und zeigt auf den Fernseher. Da läuft die „Super-Nanny“ bei RTL. „Exhibitionismus auf Kosten der Kinder! Du machst auch nichts anderes!“

Nun ja. Nun nein. Erstens sieht man meine Familie nicht (Ausnahmen bestätigen die Regel). Zweitens bin ich es, der die Geschichten erzählt. Dafür hole ich mir nicht jemanden ins Haus. Und drittens verstecke ich die allerbanalsten täglichen Streitigkeiten und kaschiere mein Versagen als Vater.

„Geschichten von einem stolzen Vater“, hat ein Kollege meine Kolumnen mal genannt, als Jonas noch ein Hosenscheißer war. Das hat mich lange beschäftigt. Jetzt kann ich sagen: Klar bin ich stolz. Darauf, zu einer kleinen radikalen Minderheit von Männern zu gehören, die mehr Zeit im Wartezimmer des Kinderarztes verbringen als vor der Glotze beim Formel-1-Rennen. Darauf, dass Jonas mir angedroht hat, er werde bald Geschichten über seine Eltern schreiben. Darauf, dass Tina „MaPa“ sagt, weil ihr egal ist, wer sie bedient. Darauf, dass meine Kinder ab und zu im Schlaf laut lachen.

Und ich bin stolz darauf, dass meine Frau mir zutraut, demnächst auch in der großen weiten Welt die Kinder am Leben zu halten, während sie von einem Termin zum nächsten hetzt.

Nur eines macht mir Sorgen: Was fange ich mit drei Kindern an, wenn ich nicht mehr über sie schreibe?

Fragen zum Nachwuchs? kolumne@taz.de Morgen: Bettina Gaus über FERNSEHEN