Das Geheimnis des guten Tons

Seit fünf Jahren baut der Chinese Huajie Hu in Hamburg Saiteninstrumente mit Seele. Zwischen Hunderten von Geigen in seiner Wandsbeker Werkstattwohnung klopft er beständig auf Holz und versucht, die beste Schnecke zu machen

„Eigentlich war es Zufall, als Kind wollte ich viel eher Maler als Musiker werden“„Meine Schnecken sind meist schmal, ein bisschen kantig“„Wenn du ein Handwerk aus einem anderen Land verstehen willst, musst du dorthin“

Von Swenja Kopp

Wenn Huajie Hu eine seiner handgefertigten Geigen an einen Kunden nach Hongkong verschickt, reist das Instrument um den halben Erdball. Denn Hu lebt und arbeitet seit fünf Jahren in Hamburg. An die deutsche Mentalität hat er sich inzwischen gewöhnt – mit der Tasse Kaffee am Morgen kann er sich wahrscheinlich nie anfreunden.

Huajie Hu klopft auf Holz. Mit geschlossenen Augen lauscht er. Er hört, wie das Holz gewachsen ist, ob es richtig gelagert wurde – er kann hören, ob es für ihn geeignet ist. Ahorn klingt anders als Fichte. Genauer: „Der Klang des Ahornbretts und der des Fichtenbretts müssen sich um eine Tonhöhe unterscheiden“, erklärt Hu. Die Stärke des Bretts beeinflusst den Ton, daher hobelt und schleift der 35-Jährige das Holz. Immer wieder prüft er, klopft an das Brett, bis es perfekt klingt. Das Geheimnis des Geigenbaus liegt im Detail.

Vor fast 20 Jahren begann Hu in China Geigen zu bauen, seit fünf Jahren lebt und arbeitet er als selbständiger Geigenbauer in Deutschland. „Highsun Violin“ steht an der Türklingel des gepflegten Mehrfamilienhauses im Hamburger Stadtteil Wandsbek. In seiner Wohnung, die zugleich Werkstatt ist, hängt nicht der Himmel, sondern die Wand voller Geigen.

Stradivari, Guarneri, Amati – große Abbildungen der alten Meister auf der rechten Seite. Gegenüber reihen sich mehrere Hundert Geigen in verschiedenen Größen und Stilen. Dazu Cellos, Kontrabässe, Bratschen – Hu baut Saiteninstrumente aller Art. Die Geige jedoch steht im Mittelpunkt. Durch dieses Instrument ist Hu zur Musik und schließlich zu seinem Beruf gekommen.

„Eigentlich war es Zufall, als Kind wollte ich viel eher Maler als Musiker werden“, sagt er. Aber als 14-Jähriger hörte er einen Mitschüler auf der Klarinette spielen. „Ich war beeindruckt.“ Doch – die Blasinstrumente waren nicht für ihn bestimmt. Der Leiter des Schulorchesters suchte stattdessen einen Schüler, der Geige spielen wollte. Hu bewies ein Händchen für das anspruchsvolle Instrument – der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.

Heute muss Hus Geige oft ungenutzt im Schrank stehen bleiben. Der Alltag als selbständiger Unternehmer lässt dem 35-Jährigen zum Musizieren kaum noch Zeit, 14 Stunden Arbeit am Tag sind keine Seltenheit. „Meine Werkstatt liegt in der eigenen Wohnung, da gibt es immer Dinge, die noch zu erledigen sind“, sagt Hu. Zudem arbeitet er in einem deutschen Meisterbetrieb, perfektioniert hier sein Können. Abschalten falle ihm nicht leicht, häufig müsse das Wochenende warten. Aber er ist froh, dass das Geschäft gut läuft.

Der Anfang in Deutschland war schwer. „Die Sprache war ein Problem“, erzählt Hu, der bei seiner Ankunft kaum ein Wort Deutsch verstand. Gesetze, Regelungen, Behörden – die Unternehmensgründung hatte er sich einfacher vorgestellt. Auch der Aufbau eines festen Kundenstammes sei zunächst nicht leicht gewesen. „Getröstet hat mich die Hoffnung, mit guten Instrumenten am Ende auch erfolgreich zu sein“, so Hu.

Inzwischen hat er Kunden in der ganzen Welt, Globalisierung ganz alltäglich. „Grenzen sollten keine Rolle spielen“, findet Hu – weder Ländergrenzen noch kulturelle Unterschiede. Er besucht regelmäßig einen Deutschkurs, hat Freunde in Hamburg gefunden und will mit seinen Arbeitskollegen aus der Meisterwerkstatt demnächst eine kleine „Familiencombo“ gründen – nur mit dem allmorgendlichen Kaffeetrinken kann er sich nicht anfreunden. „Mein Magen verträgt keinen Kaffee“, lacht Hu und deutet dezent auf eine Tasse grünen Tee, die auf seiner Werkbank einen festen Platz gefunden hat.

Hobel, Sägen, Stecheisen, Ziehklingen, Pinsel und Schnitzmesser drängen sich in langen Reihen auf dem Tisch. Jeder Produktionsschritt erfordert besonderes Werkzeug. Der Weg zu einer guten Geige ist lang. „Mindestens zwei bis drei Monate dauert es“, sagt Hu.

Die Auswahl der Materialien ist der erste Schritt. Die Qualität des Holzes ist entscheidend für den Klang des Instruments. Dann wird die Innenform gefertigt – sie dient später als Vorlage für Zargen, Decke und Boden der Geige. Die Innenform basiert meist exakt auf den Werken der alten Meister wie Stradivari oder Guarneri. „Bei der Gestaltung von Decke und Boden dagegen kann der Geigenbauer auch eigene Vorstellungen umsetzen“, erklärt Hu. Traditionell besteht der Boden aus Ahornholz, die Decke dagegen aus Fichte. Alle Teile einer Geige müssen in Form gefeilt werden – bis beim Klopfen der richtige Ton getroffen wird.

Ohne Zubehör besteht eine Geige aus etwa 70 Einzelteilen, die von Hu ausgesägt, bearbeitet und zusammengeleimt werden. „Jedes Einzelne von ihnen beeinflusst den Klang des Instruments“, sagt er. Dies gilt auch für den Lack. Viele Geigenbauer versuchen ihr Leben lang, die perfekte Mischung zu finden. Denn die Lackierung ist mehr als nur Farbe, sie schützt das Holz und im besten Fall unterstützt sie den Klang. Hu mischt seine Lackierung selbst an, aus natürlichen Harzen und Ölen. Das Rezept bleibt sein Geheimnis.

In die Werkstatt dringt kaum Tageslicht, die Arbeitslampen tauchen den Raum in warmes, rötliches Licht. Die lackierten Geigen glänzen golden, wie Bernstein. Der changierende Braunton ist die traditionelle Farbe der Geige. „Klassische Instrumente brauchen eine klassische Farbe“, betont Hu. Weiße, schwarze oder gar bunte Geigen gibt es nicht in seiner Werkstatt.

Diese werden meist in Fabriken gefertigt. Saiteninstrumente werden weltweit massenhaft produziert. Die Idee, Geigen auf diese Weise herzustellen, stammt aus Deutschland. Heute wird ein großer Teil der Fabrikgeigen im Ausland gefertigt – zum Beispiel in China. Sie kosten nur einen Bruchteil dessen, was für eine werkstattgefertigte Geige bezahlt werden muss. Vor allem Geigen, die von Meisterhand gefertigt wurden, sind mit Preisen von mehreren Tausend Euro für Hobbymusiker oft unerschwinglich. Dagegen sind Fabrikgeigen aus China, die in Deutschland für etwa 200 bis 1.000 Euro verkauft werden, vergleichsweise günstig.

Allerdings, zwischen der Qualität einer Fabrikgeige und der in aufwendiger Handarbeit gefertigten Geige aus Hus Werkstatt liegen Welten. „Während in der Werkstatt eine einzige Person alle Teile auswählt, bearbeitet und auf ihren Klang hin überprüft, arbeiten in einer Fabrik viele Menschen mit wenig Zeit an einer Geige“, erklärt Hu. Jedes Teil werde einzeln bearbeitet, jeder Mitarbeiter habe ein anderes Empfinden, wie der richtige Ton klingen soll. Das Ergebnis sei meist wenig überzeugend: „Der Geige fehlt die Seele, wenn sie in einer Fabrik entsteht.“

Geigen haben nicht nur eine Seele, manche haben sogar ein Geschlecht. „Der Klang einer Stradivari ist weiblich, der einer Guarneri dagegen eher männlich, herb“, beschreibt es Hu, der selbst am liebsten auf einer Guarneri-Kopie spielt. Handgefertigte Geigen haben oft auch eine Persönlichkeit – die ihrer Erbauer. Sofern es sich nicht um exakte Kopien alter Meistergeigen handelt, verleihen die Geigenbauer ihren Werken gerne einen Hauch Individualität. Kleine Details, die von der Vorlage abweichen und „ immer ein wenig von der Identität des Geigenbauers preisgeben“, so Hu. Vor allem die Schnecke – der hölzerne Wirbel am Kopf der Geige – dient als Projektionsfläche.

Was verrät also die Schnecke einer echten Hu-Geige über seine Person? „Meine Schnecken sind meist schmal, ein bisschen kantig, aber insgesamt folgt die Form der Geige einer fließenden Linie“, beschreibt der Schöpfer sein Werk. Er selbst ist schlank, sportlich und ein bisschen kantig – und tatsächlich, seine Bewegungen scheinen manchmal einer fließenden Linie zu folgen. Das Aussehen einer Geige spiele aber nicht die entscheidende Rolle, betont Hu, „wichtiger ist der gute Klang, das Erlebnis bei Musiker und Zuhörer“.

Mit 16 Jahren lernte Hu das Geigenbauen in Harbin, im Nordosten Chinas, in der Nähe der russischen Grenze. Anschließend zog es ihn in die Hauptstadt Peking, wo er im Alter von 23 Jahren ein eigenes Geschäft eröffnete. Im Jahr 2000 kam er nach Deutschland. „Wenn du ein Handwerk aus einem anderen Land verstehen willst, musst du dorthin gehen, wo es herkommt“, erklärt Hu, diese Erkenntnis verdanke er seinem ersten Geigenbaulehrer. In der nächsten Zeit will Hu sein Unternehmen ausbauen – er sucht bereits nach einem deutschen Geigenbauer, der ihn bei der Arbeit unterstützt. Damit er demnächst wieder mehr Zeit hat, um selbst Geige zu spielen, zum Beispiel. In vier oder fünf Jahren möchte er die Meisterprüfung ablegen. „Mein großer Traum“, sagt Hu, „oder vielmehr eigentlich mein fester Plan.“

Was danach kommt, bleibt zunächst ungewiss. Vielleicht wird er Deutschland verlassen, um in den USA zu arbeiten oder in China: „Gute Geigen kann ich schließlich überall bauen.“