: Raus aufs Land – aber bitte mit WLAN
VERDICHTKUNST Von der Sehnsucht nach der eigenen Scholle irgendwo draußen: Rainald Grebe feierte mit seinem Musikspektakel „Zurück zur Natur – Konzert für Städtebewohner“ Premiere im Maxim Gorki Theater
VON DAVID DENK
Ein anderes Leben muss doch möglich sein. Ausgezehrt vom Aufwachen in wechselnden Hotelzimmern und angeödet von seinen „400 Quadratmetern in Pankow“ macht sich Rainald Grebe auf die Suche nach einem Haus auf dem Land, „aber nur in Alleinlage oder an der Ausfallstraße“, schränkt er ein, „so richtig Kontakt möchte man ja nicht haben zur Dorfbevölkerung“.
Damit selbst die Wenigen im Publikum, die noch nie aufs Land ziehen wollten, nachvollziehen können, dass es mit diesen Ansprüchen gar nicht so einfach ist, das passende Objekt zu finden, lässt Rainald Grebe nun ein paar Immobilienscout-Anzeigen auf die Bühne des Maxim Gorki Theaters projizieren und stellt sich schon mal vor, wie er auf der Freitreppe sitzend oder am Privatsee stehend mit der Milchkaffeeschale in der Hand die unverbaute Aussicht genießt. Aber irgendwas stört dann doch immer – und sei es nur das giftige Grün, in dem die Vorbesitzer die Scheune gestrichen haben.
Rainald Grebe hat mit „Zurück zur Natur“, seinem „Konzert für Städtebewohner“, das am Donnerstag Premiere feierte, eines der großen Themen unserer Zeit aufgegriffen. Mutmaßlich handelt auch Frank Schirrmachers nächstes Buch davon: von der Sehnsucht nach der eigenen Scholle weit draußen – aber bitte mit Handynetz, WLAN, bestem Verkehrsanschluss und einem Kiosk in der Nähe, der Monocle führt und Landlust natürlich, das sensationell erfolgreiche Zentralorgan dieser Romantisierung. Auf dem Land, fantasiert der Städter, ist das Leben nicht so verflucht kompliziert wie in Berlin- und sogar billiger. „Die Mieten hier sind bezahlbar“, besingt Grebe das Leben in Mitte und Prenzlauer Berg, „denn ich kann sie ja bezahlen.“
„Dörte“, „Brandenburg“
Weil Rainald Grebe Kabarettist ist, hält er es in der Schwebe, ob er wirklich sich meint, wenn er „ich“ sagt. Ist aber auch egal, genauso nebensächlich wie die Frage, ob eine seiner Exfreundinnen wirklich Dörte hieß, im Schneidersitz zur Welt kam, Germanistik auf Lehramt studierte und auf Andreas Baader onanierte. Hauptsache, Grebe singt darüber. Er ist Miniaturist, der größte Deutschlands. „Eine Welt im Kleinen, im besten Fall“, will er mit seinen Liedern vermitteln. Und das gelingt ihm meist meisterhaft.
Auf den Großteil seiner Hits – ob „Dörte“, „Brandenburg“ oder „Wortkarger Wolfram“ – muss das Publikum an diesem Abend allerdings verzichten. Dieses Konzert hat ein Thema, zumindest oberflächlich, und da passt von den bekannten Stücken nur das leider etwas abgenudelte „Castingallee“ rein, in dem „bis um vier“ gefrühstückt wird, immer wieder „Bimmel Bimmel Bammel“ die Bahn vorbeikommt und einmal „der Pollesch“. Rasender Stillstand bei Latte Macchiato.
Auch dieser Song ist aus der Ich-Perspektive geschrieben, was ein höchst sympathischer Zug an Grebes Texten ist: Selten macht er sich ausschließlich über andere lustig, immer meint er auch sich selbst, na gut, zumindest könnte er immer auch sich selbst meinen. Dass in „Zurück zur Natur“ auch seine allesamt in Braun, Beige und Ocker gekleideten Bandkollegen Britta Hammelstein, Ronald Kukulies, Johann Jürgens und Martin Brauer singen, Marcus Baumgart beschränkt sich aufs Gitarrespielen, ändert daran nichts.
Nur kommt „Zurück zur Natur“ leider nicht über die Aneinanderreihung von Liedern hinaus – na klar, das ist die Natur eines Konzerts, aber für einen Theaterabend ist es zu wenig. Grebe erwähnt zwar das Spielzeitthema „Ökonomie des Lebens“, doch bemüht er sich nicht darum, seinen Abend in Beziehung dazu zu setzen. Es fehlt das Konzept. Und so ist „Zurück zur Natur“ immer nur so gut wie der Song, der gerade gespielt wird.
Charme einer Bandprobe
Ein Spannungsbogen ist genauso wenig erkennbar wie eine Botschaft, etwas zum Mit-nach-Hause-Nehmen. „Wir spinnen, wir Städter“ ist ein bisschen mau. „Zurück zur Natur“ hat den Charme einer öffentlichen Bandprobe, die Musiker fläzen sich auf der Bühne, schnorren Zigaretten voneinander, rauchen viel und lassen zwischen den Liedern die Monologe ihres hinterm Keyboard hängenden Bandleaders stoisch über sich ergehen.
Darin verstecken sich allerdings immer wieder auch Perlen von Grebes Verdichtkunst, der Ausruf „Ho! Ho! Holzspielzeug!“ etwa oder die Sentenzen „Frauen sind so nah am Wasser gebaut / wie Ruderklubs“ und „Die dritte Welt und die erste Welt fragen sich: / Wo ist die zweite?“
Doch diese Häppchen machen nicht satt, im Gegenteil, sie steigern den Hunger nach einer Ordnung, in die sie sich einfügen könnten, als deren Baustein sie größere Wirkung entfalten könnten denn als Stückwerk. So verpuffen sie, im Gelächter zwar, aber verpufft ist verpufft.
■ „Zurück zur Natur“: 6. 2., um 21 Uhr und 16. 2, um 19.30 Uhr (ausverkauft)