: Lücken im Gesetz erleichtern Pfusch
RECHTSLAGE In Deutschland erhielten etwa 5.000 Frauen PIP-Implantate. Produkt seit 2010 verboten
BERLIN taz | In Deutschland dürften es mehr als 5.000 Frauen sein, die sich – im Zuge von Schönheitsoperationen oder nach Brustkrebsbehandlungen – mangelhafte Silikonkissen des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) einpflanzen ließen. Das schätzt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das als Aufsichtsbehörde für Medizinprodukte zuständig ist.
Unklar ist, wie viele dieser Frauen geschädigt sind – etwa weil die Implantate rissen, das Silikon in die Brüste auslief oder Entzündungen hervorrief. In der Europäischen Union gibt es kein Implantateregister, mit dessen Hilfe sich die Eingriffe zurückverfolgen ließen. Seit April 2010 sind die PIP-Implantate europaweit verboten.
Im Januar 2012 schloss sich die deutsche Aufsichtsbehörde der Auffassung ihrer französischen Kollegen an: Sie empfahl Frauen in Deutschland, sich die Silikonkissen wegen drohender Gesundheitsgefahren wieder entfernen zu lassen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen für Patientinnen, denen die Implantate aus medizinischen Gründen eingesetzt wurden, sämtliche Kosten. Wurden die Kissen aus ästhetischen Gründen eingesetzt, tragen die Kassen nur die Kosten für die Entnahme, nicht aber für den Wiederaufbau der Brust.
Etwa zwei Dutzend geschädigte Frauen aus Deutschland wollen ihre Ansprüche auf Schadenersatz und Schmerzensgeld nun als Nebenklägerinnen in Marseille geltend machen. Diese Ansprüche seien, so ihr Berliner Medizinrechtsanwalt Jörg Heynemann, in Frankreich leichter durchzusetzen als in Deutschland. Der Grund: Anders als hierzulande gibt es in Frankreich einen staatlichen, über Steuergeld finanzierten Garantiefonds, der geschädigten Patientinnen Entschädigungen von 4.000 bis 30.000 Euro in Aussicht stellt.
Zuvor war eine geschädigte Frau aus Deutschland vor dem Landgericht Frankenthal mit ihrer Klage gegen den TÜV Rheinland gescheitert, der den PIP-Implantaten das CE-Siegel erteilt und ihnen damit bescheinigt hatte, den europäischen Normen zu genügen. Damit durften sie europaweit verkauft werden.
Die Frau hatte dem TÜV mangelhafte Überwachung und Kontrolle vorgeworfen. Nach geltendem EU-Recht ist es praktisch unmöglich, die zertifizierenden Stellen haftbar zu machen. Grund: Der TÜV ist gesetzlich nicht verpflichtet, unangemeldet zu Kontrollen bei den Herstellern aufzutauchen. Zudem muss bei Medizinprodukten – anders als etwa bei Arzneien – nur die technische Sicherheit nachgewiesen werden, nicht der Patientennutzen. Beispiel: Ein Herzschrittmacher darf nicht rosten – ob er die Beschwerden des Patienten aber tatsächlich zu lindern vermag, spielt bei der europaweiten Verkaufserlaubnis keine Rolle. HEIKE HAARHOFF