: Die Ukrainer entdecken ihre Einigkeit wieder
Die Empörung über die Gazprom-Politik ist einhellig. Die Regierung betont, man verbrauche derzeit kein russisches Gas
LWIW taz ■ Der Markt in der westukrainischen Stadt Lwiw (Lemberg) ist leer am Montagmorgen. Nur einige Frauen stehen vor den Markttoren auf der Straße. Obst und Gemüse, Milch und Eier, Seife und Zahnpasta liegen auf ihren Holzkisten. Neue Zeitungen gibt es keine, Montag ist Feiertag in der Ukraine. Doch an Gesprächsstoff mangelt es nicht. Der ukrainisch-russische Gasstreit erregt die Gemüter. Maria, eine junge, füllige Verkäuferin, ist sichtlich empört. „Ich hab’ schon immer gesagt, man soll weg von Russland! Lieber frieren als mit den Russen zusammen!“ Kämpferisch stemmt sie beide Hände in die Hüften. „Ich komme auch ohne Gas aus. Wenn es ganz kalt wird, kann ich mit Holz und Kohle heizen“, fährt sie mit breitem Lächeln fort. Die anderen Frauen nicken.
Politischer Druck und wirtschaftliche Erpressung vonseiten des Nachbarn vereinen die Menschen in der Ukraine über die Parteistreitigkeiten hinweg. „Herr Putin! Denken Sie bitte an die Wahlen von 2004! Wir sind ein unabhängiges Land und spüren dies unter Ihrem Druck nur besser“, heißt es in einem Brief aus der östlichen Region Dnipropetrowsk an die Internetzeitung „Ukrainska Prawda“. Nachdem die Zeitung eine entsprechende Aktion gestartet hatte, gingen binnen weniger Tage mehr als 2.000 Briefe bei der Redaktion ein. „Wir werden eine würdige Antwort auf Ihre Initiative finden“, schreibt ein anderer Leser. „Wir werden unseren Energieverbrauch reduzieren und unsere Wirtschaft modernisieren. Danach wird sie nur wettbewerbsfähiger sein. Vielen Dank, dass Sie dazu beitragen.“ Aber mit der längst fälligen Modernisierung der maroden Großunternehmen und mit der Einführung von Energie sparenden Technologien wird es länger dauern. Die Versorgungsengpässe wird die Wirtschaft bald zu spüren bekommen. Zu den betroffenen Großkunden zählen in erster Linie Hüttenwerke und Chemiefabriken. Die Regierung beteuert, dass russisches Gas derzeit nicht verbraucht wird. Man schöpfe aus eigenen Reserven und verbrauche das turkmenische Gas.
Gazprom wirft der Ukraine jedoch vor, aus den Transitleitungen nach Westeuropa Gas zu stehlen. Das allerdings ist eine Interpretationsfrage. Der Vertrag über die Transitgebühren wurde ebenfalls nicht unterzeichnet. Nach dem alten Vertrag sieht sich Kiew berechtigt, bis zu 15 Prozent vom durchzuleitenden Gas als Transitgebühr einzubehalten.
Politikern und Energiemanager wird der ukrainisch-russische Gasstreit wohl manche schlaflose Nacht bereiten. Maria kann dagegen ruhig schlafen. Denn die Haushalte haben kaum direkte Auswirkungen zu befürchten. Die Ukraine fördert jährlich selbst bis zu 20 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Die sollen für die Versorgung der privaten Haushalte und einen Teil der kommunalen Wirtschaft ausreichen. Das ist im Hinblick auf die im März stattfindenden Parlamentswahlen wichtig. Möglicherweise hatte man auch im Kreml diese Wahlen im Blick, als man sich zur repressiven Gaspolitik entschloss. Ob die Rechnung aufgeht, bleibt fraglich.
Juri Durkot