: Innenminister rüffelt obersten Richter
SICHERHEIT Nach dem Anschlag auf den Boston-Marathon hat Verfassungsgerichtspräsident Voßkuhle die Politik zur Besonnenheit gemahnt. „Wer Politik machen will, möge für den Bundestag kandidieren“, stänkert nun Bundesinnenminister Friedrich gegen ihn
■ Die Warnung: Die Chefs des Bundeskriminalamts und des Verfassungsschutzes haben vor einer Gewaltspirale zwischen Islamisten und Islamhassern gewarnt. Es sei zu befürchten, dass vor den Wahlen zum Bundestag sowie in Hessen und Bayern Mitglieder der extrem rechten „Pro-Bewegung“ mit islamfeindlichen Aktion provozierten und die salafistische Szene reagiere, sagte BKA-Präsident Jörg Ziercke, „bis hin zu schwersten Straftaten“. Im vergangenen Jahr war es nach Provokationen von „Pro NRW“ erstmals zu Straßengewalt durch Salafisten gekommen. Vor wenigen Wochen wurde ein mutmaßliches Mordkomplott von Islamisten gegen den Chef der Splitterpartei aufgedeckt. Sollte sich dies bestätigen, „wäre eine neue Eskalationsstufe zwischen Salafisten und Rechtsextremisten erreicht“, sagte Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen auf dem Symposium in Berlin.
■ Das Symposium: „Wechselwirkungen in Extremismus und Terrorismus“, so der Titel des Jahressymposiums des Verfassungsschutzes in Berlin. Geheimdienstler, Kriminalbeamte, Wissenschaftler und Journalisten aus dem In- und Ausland referierten über Konsequenzen aus den NSU-Morden, Gewalt in der islamistischen Szene und Formen rechtsextremer Propaganda im Netz. (wos)
AUS BERLIN WOLF SCHMIDT
Es war zunächst wie immer, wenn Innenminister die Begrüßungsworte zu einem Sicherheitssymposium sprechen. Linksextremismus: gefährlich. Islamismus: gefährlich. Rechtsextremismus: gefährlich. Doch dann riss Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Dienstagvormittag das Publikum im holzvertäfelten Auditorium Friedrichstraße in Berlin aus dem Sekundenschlaf. In ungewöhnlich scharfem Ton rüffelte er den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, Andreas Voßkuhle, für dessen Äußerungen nach dem Anschlag auf den Boston-Marathon.
„Wenn Verfassungsrichter Politik machen wollen, mögen sie bitte für den Deutschen Bundestag kandidieren“, sagte Innenminister Friedrich. Ansonsten „wäre es freundlich, wenn sich auch die Herren Verfassungsrichter an die verfassungsgemäße Ordnung halten und sich nicht in die Tagespolitik einmischen würden“. Und um sicherzugehen, dass die anwesenden Journalisten anspringen, setzte Friedrich noch hinterher: Er hoffe, dass seine Botschaft ankomme. Auslöser des Ausrasters war ein Interview Voßkuhles vom Wochenende. Darin ging es unter anderem um mögliche Konsequenzen für Deutschland nach dem Anschlag in Boston, bei dem drei Menschen getötet wurden. „Zur Politik gehören Zuspitzung und schnelle Reaktion“, sagte Voßkuhle. „Bei der konkreten Umsetzung sollte dann aber wieder Besonnenheit einkehren.“ Zuvor hatten Innenpolitiker der Union die Vorratsdatenspeicherung gefordert, Innenminister Friedrich plädierte für mehr Videoüberwachung in Deutschland.
Schon in den Monaten davor hatte sich Voßkuhle in den Augen von Unionspolitikern zu sehr in die Tagespolitik eingemischt. Manche fanden es schon ungehörig, dass der Verfassungsgerichtspräsident Hauptstadtjournalisten zu einem Hintergrundgespräch traf. Dabei ging es unter anderem um die Gleichstellung der Homo-Ehe, bei der die Bundesregierung demnächst mit einer weiteren Watschen aus Karlsruhe rechnen muss.
Dass Innenminister und Verfassungsrichter aneinandergeraten, kam auch in der Vergangenheit schon mal vor. Wolfgang Schäuble (CDU) ging vor fünf Jahren den damaligen Präsidenten des Verfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, heftig an. Damals ging es um die Frage, ob der Abschuss von Flugzeugen zur Terrorabwehr erlaubt werden sollte.
Dass Friedrich nun so dünnhäutig reagiert, erstaunt allerdings. Denn wenn man das Interview mit Voßkuhle nachliest, geht aus der fraglichen Stelle gar nicht hervor, dass Voßkuhle mit seiner Mahnung zur Besonnenheit den Innenminister meinte. „Dem Präsidenten des höchsten Gerichts den Mund verbieten zu wollen ist äußerst unangemessen“, sagte der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Michael Hartmann, der taz.
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