: Aus Gasstreit wird Atomstreit
BERLIN taz ■ Der ukrainisch-russische Gasstreit hat die deutsche Regierung erreicht. Zum ersten Mal hat die Union gestern den erst neun Wochen alten Koalitionsvertrag in Frage gestellt. „Der Koalitionsvertrag ist das eine, die Zusammenarbeit über eine längere Wegstrecke das andere“, erklärte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Glos spielt dabei auf die Nutzung der Atomenergie an. „Man darf sich nicht aus einer Zukunftstechnologie zurückziehen“: Mit solchen Sätzen hatte Glos den beschlossenen Atomausstieg immer wieder in Frage gestellt. Das findet zunehmend Beifall: Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) warnt jetzt auch vor dem Ausstieg. Und CSU-Chef Edmund Stoiber will, dass das Thema bei der Klausur des Bundeskabinetts Anfang kommender Woche behandelt wird.
Nicht ohne die gewünschte Wirkung: Der SPD-Umweltflügel schäumt. „Herr Glos sollte wissen, wann eine Schlacht verloren ist“, erklärte SPD- Fraktionsvize Ulrich Kelber. Für die SPD sei das Thema abgeschlossen. Michael Müller, parlamentarischer Umwelt-Staatssekretär, nannte den Unions-Vorstoß „Unsinn“. AKWs würden Strom erzeugen, Erdgas aber werde zu fast 90 Prozent verheizt. Müller: „Atomkraft ist deshalb keine Ersatzenergie für Gas“.
Das Gas fließt wieder
Weit weniger hitzig ging es gestern im eigentlichen Streit zu: Vertreter der Staatskonzerne Naftogas (Ukraine) und Gazprom (Russland) trafen sich gestern in Moskau, um den Konflikt zu entschärfen. „Das ist eine ermutigende Nachricht“, kommentierte Andris Piebalgs, der für Energiefragen zuständige EU-Kommissar. Piebalgs ist Lette – und als solcher nicht ganz fremd im Beurteilen der Moskauer Großwetterlage.
Am deutlichsten fiel gestern die Entspannung bei den deutschen Gasimporteuren aus: Die russischen Lieferungen nach Deutschland haben am Dienstag wieder das normale Niveau erreicht. Große deutsche Ferngasimporteure wie Eon Ruhrgas, die ostdeutsche Verbundnetz Gas AG oder Wingas meldeten zu 100 Prozent erfüllte Lieferverträge. Auch in Frankreich, Österreich, Kroatien, Rumänien, der Slowakei und Italien stabilisierte sich die Versorgung. Teilweise war dort nach Neujahr fast ein Drittel weniger angekommen als vertraglich vereinbart.
Unklar bleibt weiterhin der Grund für den zeitweiligen Druckabfall in den Pipelines: Gazprom beschuldigte erneut Kiew, die Leitungen illegal angezapft zu haben. Eine Lüge, hieß es in der Ukraine. RENI