Ensemble packt aus

BÜHNE Die alte Truppe des Schauspielhauses in Hamburg verabschiedet sich mit einem „Ritt in die Sonne“

Obwohl Tristan Seith gern feingeistige Rollen bei Tschechow, Ibsen oder Strindberg gespielt hätte, hat er stattdessen immer nur brüllen müssen

„Jetzt sind schon wieder alle weg“, sagt Martin Pawlowsky. Er ist einer von fünf Schauspielern, die bleiben dürfen, wenn im November die neue Intendantin Karin Beier die nächste Spielzeit im Hamburger Schauspielhaus eröffnet. Pawlowsky ist seit über 30 Jahren am Schauspielhaus und unkündbar. „Von den Kollegen von 1989 ist keiner übrig geblieben“, sagt er. Es ist ein persönliches Statement, eines von 16 an diesem Abend. In dem Stück „Ritt in die Sonne“ bekommt jeder Schauspieler des Ensembles die Gelegenheit, noch einmal etwas los zu werden, sei es ein Dank, eine Beschwerde oder ein Geheimnis.

„Wir machen alle gemeinsam Theater. Wir alle – dachte ich, als ich letztes Jahr von der Schauspielschule hierher kam“, ruft Julia Riedler. Dann habe sie herausgefunden, dass es in erster Linie darum gehe, wer den meisten Schlussapplaus bekommt. Und dass man auch selbst nachhelfen kann mit „Bravo“-Rufen bei der Verbeugung. Das Publikum ist sehr erfreut: Hier wird ausgepackt.

Weitere Offenbarungen folgen. Stefan Haschke spielt eine Szene aus dem Film „Die Unendliche Geschichte“, die in ihm damals den Wunsch weckte, Schauspieler zu werden. Sören Wunderlich singt bedeutsame Verse von Niels Frevert und Tocotronic. Ein Höhepunkt ist das Solo von Martin Wißner, der in schnellem Wechsel unterschiedliche Textpassagen aus seinem Repertoire der vergangenen Jahre anspielt. Spätestens nach dem dritten oder vierten „Vater!“-Ruf ist jedem klar, welche Rolle er ständig spielen musste.

Tristan Seith lässt einen das Leid der ewig gleichen Besetzung spüren. Im Gorillakostüm singt der Mann mit glockenheller Stimme den Schubert’schen Leiermann, um sich dann selbst zu unterbrechen und dem Publikum zu erklären, er sei immerzu als polternder Schreihals besetzt worden. Obwohl er gern feingeistige Rollen bei Tschechow, Ibsen oder Strindberg gespielt hätte, habe er stattdessen immer brüllen müssen. „Und essen!“ – betretenes Schweigen im Saal. „Nun, dann werde ich mal den Bullen ficken“, sagt er, setzt sich die Gorillamaske wieder auf und macht sich ans stumpfe Werk. Das ist grotesk – und schön auf den Punkt gebracht.

Nach dem kurzweiligen „Ritt in die Sonne“ und mehreren Zugaben bleibt das Bedauern, diese Schauspieler nicht länger am Schauspielhaus sehen zu können. Eine letzte Gelegenheit gibt es am Samstag.  MARTIN PETERSEN

„Ritt in die Sonne“: 27. 4., 20.30 Uhr, Schauspielhaus Hamburg