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Archiv-Artikel

Schwache Abwehr

Die Fight Night in der Neubrandenburger Stadthalle spaltet die Kommunalpolitik: Dient sie ausschließlich dem Kampfsport oder ist sie auch Treffpunkt für Rechtsextremisten? Die Debatte zeigt, wie schwierig es sein kann, klare Grenzen zu ziehen

Landkreis XXL

■ Der Landkreis: Wie verändern demografischer Wandel und schmalere Budgets die Kommunalpolitik? Mecklenburg-Vorpommern hat 2011 als Lösung die Kreise neu geordnet. Der Kreis Mecklenburgische Seenplatte ist seitdem mit 5.496 Quadratkilometern der größte Landkreis Deutschlands.

■ Die Serie: Die taz begleitet den Kreis ein Jahr lang. Alle Texte und die Onlinekolumne „Heimatkunde Seenplatte“ finden Sie unter: taz.de-Schwerpunkt-Landkreis-XXL. Nächste Folge: Naturschutz als Wirtschaftsfaktor: Im Müritz-Nationalpark.

AUS NEUBRANDENBURG GABRIELA M. KELLER

Unter dem schrägen Schalendach staut sich die Hitze; die Luft ist ein zäher Dunst, der nach Bier, Schweiß und Aftershave riecht. Es geht auf elf zu. Die Leute starren auf den Ring in der Mitte der Stadthalle Neubrandenburg. Sie fahren von ihren Stühlen auf, recken die Köpfe, jubeln, brüllen.

Im Scheinwerferlicht dampfen die nackten Oberkörper der Kämpfer, die ineinander verkeilt auf dem Boden liegen. Der unten tritt um sich, sein Gegner drückt ihn nieder. Boxt ihm ins Gesicht. Muskeln zucken, Schweißtropfen fliegen. „Ladys und Gentlemen, Applaus, Applaus, Applaus“, schreit der Ringsprecher.

Werfen, treten, würgen

Der Abend läuft gut für die Veranstalter. Die Halle ist ausverkauft, das Publikum bestens in Stimmung. Die Vorwürfe gegen die Fight Night spielen keine Rolle, nicht jetzt, nicht hier.

Stephan Kreienbrink, einer der Veranstalter, hat schon oft erklärt, dass es da auch nichts zu diskutieren gibt. Dass auf der Fight Night kein Platz ist für Rechtsextremismus. „Wir haben uns positioniert“, sagt er, „indem wir die beiden auf der Fight Night nicht mehr kämpfen lassen.“ Die beiden, das sind Denis Tomzek und Silvio Dahms, Kampfsportler im Neubrandenburger „First Fight Team“. Sie sollen zugleich Teil der Neonazi-Szene Mecklenburg-Vorpommerns sein, oder gewesen sein.

Bei der Fight Night treten Sportler in der Disziplin Mixed Martial Arts (MMA) gegeneinander an. Dabei verwenden sie Techniken aus verschiedenen Kampfsportarten. Fast alles ist erlaubt: werfen, treten, würgen, selbst dann, wenn der Gegner am Boden liegt. Das Fernsehen zeigt MMA-Kämpfe nicht, weil sie als zu brutal gelten.

Die Fight Night in Neubrandenburg gibt es bereits seit sieben Jahren. Zum Eklat kam es Anfang 2011, als in der Stadt Fight-Night-Werbeposter mit den Fotos der Kämpfer auftauchten. Die Tätowierung auf Dahms Brust war deutlich zu erkennen, das Logo einer Kameradschaft in Vorpommern. Tomzek ist mehrfach auf Neonazi-Aufmärschen gesehen worden. Vor einigen Jahren posierte er für einen Kalender der inzwischen verbotenen „Heimattreuen Jugend“.

Auf der Fight Night kämpfen Dahms und Tomzek nicht mehr. Doch es hat sich nichts daran geändert, dass sie Mitglied im „First Fight Team“ sind. Auch Stephan Kreienbrink trainiert in diesem Club; er und der Trainer veranstalten die Fight Night gemeinsam. Kreienbrink findet nichts daran, dass Dahms und Tomzek weiter dazugehören. „Ich bin der Meinung, dass Sport und Politik nichts miteinander zu tun haben“, sagt der Veranstalter. Ohnehin hätten sich beide längst aus der rechten Szene gelöst.

Doch es geht in dieser Geschichte nicht nur um zwei Kampfsportler. Nach Einschätzung von Experten gibt es bundesweit Schnittmengen zwischen der Freefight-Szene und den Rechten. Doch was bedeutet das konkret für Neubrandenburg? Seit zwei Jahren kreist ein kommunalpolitischer Streit um die Fight Night, der deutlich macht, wie schwer es ist, Grenzen zu ziehen. Zwischen dem, was eine Demokratie aushalten sollte, und dem, wogegen sie sich zur Wehr setzen muss.

Keine rechten Symbole

Niemand weiß, ob Tomzek und Dahms tatsächlich aus der rechten Szene ausgestiegen sind. Im Publikum wurden mehrfach NPD-Politiker gesehen. Reicht das als Beleg, dass die Fight Night rechts unterwandert ist? Und können Veranstalter etwas dafür, wer zu ihren Shows kommt?

Ein Besuch der Fight Night liefert keine Antworten, sondern wirft weitere Fragen auf.

Es ist ein kalter Abend im März, die Dunkelheit riecht nach nassem Holz. Die Stadthalle liegt wie ein gestrandetes Ufo inmitten schlammiger Wiesen. Nach und nach verdichtet sich die Menge um den Grillstand, der vor dem Eingang aufgebaut ist.

Drinnen ist es laut, bunt und voll; die Atmosphäre liegt irgendwo zwischen Volksfest und Großraumdiskothek. Blaue Scheinwerfer flackern über die Decke. Aus den Lautsprechern dröhnt Rockmusik. Am Bierstand Frauen mit stark geschminkten Gesichtern. Überall Solariumbräune und Stretch-Polyester, dazu viele, die aussehen wie brave Büroangestellte. Und jede Menge Glatzen und Muskeln. Das sagt nicht unbedingt etwas aus; rasierte Schädel gehören auch zum Lifestyle der Freefighter. Es fällt auf, dass nirgends rechte Symbole zu sehen sind, nicht einmal ein Thor-Steinar-T-Shirt. Wer der Szene angehört, will es offenbar nicht zeigen.

Auf die Frage danach, dreht sich ein junger Mann wortlos weg; ein anderer sucht kurz nach Worten. „Wenn hier einer rechts ist, der kommt ja nicht wegen seiner Gesinnung, sondern wegen des Sports“, sagt er, „und wenn der nix drauf hat, dann verliert der genauso wie alle anderen.“

Beobachtern zufolge ist gerade diese Mischung brisant: ein kommerzielles Massenevent, das normale Bürger besuchen, das aber zugleich Anziehungskraft auf Neonazis hat. „Die Menschen interessieren sich für den Sport und wollen am Wochenende etwas erleben“, sagt Katrin Nepperschmidt vom Regionalzentrum für demokratische Kultur in Neubrandenburg. Die Sozialpädagogin sitzt in einem kargen Besprechungsraum, faltet die Hände auf der Tischplatte und wählt jedes Wort sorgfältig. Sie weiß, wie zwiespältig das Thema ist.

Die Trennlinien zwischen den Neonazis und der übrigen Bevölkerung sind unscharf geworden, vor allem in strukturschwachen ländlichen Regionen. Im Großkreis Mecklenburgische Seenplatte sinkt die Einwohnerzahl, die Verwaltung muss sparen. Wo sich Lücken auftun, springt die NPD ein, mit Schuldnerberatung oder Hausaufgabenhilfe. „In Neubrandenburg wurden drei Jugendklubs geschlossen“, sagt Kathrin Nepperschmidt, „an dieser Stelle wird dann angesetzt.“

Die Mitarbeiter des Zentrums beraten Schulen, Vereine, Kommunen. Es gab einen Fall, in dem ein NPD-Mann versucht hat, eine Kita im Kreis zu übernehmen. Die Kommune konnte sie nicht mehr finanzieren. Das Zentrum fand rechtzeitig einen anderen Träger. Doch die vier Mitarbeiter können in dem riesigen Kreis nicht immer schnell genug sein. Manchmal erfahren sie zu spät, wenn die Rechten mal wieder Kinder zum Zeltlager abgeholt haben. Vor Ort, sagt sie, fehlt es oft an Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, „so dass andere Angebote sofort Anklang finden.“

Auf der Bühne in der Stadthalle balancieren junge Frauen auf Stilettoabsätzen vorüber, in glitzernden Minis, Nummernkarten in den hoch gereckten Händen.

Fäuste prallen gegen Schläfen, Ellenbogen auf Jochbeine.

Viele von außerhalb

Ein Sportler bricht mühelos durch die Deckung seines Gegners; der taumelt, benommen von den Schlägen, nach Sekunden in die Seile. Eine dünne Blutspur rinnt über seine Lippe. „Haarverlängerung, Spraytan, Wimpernverdichtung: Welche Frau träumt nicht davon?“ Vor jeder Runde liest der Ringsprecher Namen und Slogans von Sponsoren ab, Kosmetikstudios, Handyläden, Anwaltsbüros.

„In Neubrandenburg wurden drei Jugendclubs geschlossen. Da wird dann angesetzt“

KATHRIN NEPPERSCHMIDT

Viele hier sind von außerhalb gekommen. Auf dem Parkplatz stehen etliche Autos mit ortsfremden Kennzeichen, vor allem aus Vorpommern-Greifswald. Im Nachbarkreis gibt es Orte, wo die Rechten sehr stark sind. Doch Nummernschilder allein lassen keine Rückschlüsse zu.

Auch die Politiker sind sich uneins. Die Veranstalter haben sich vom Rechtsextremismus distanziert. Sie halten sich an alle Auflagen. Das reicht vielen.

„Man versucht den Eindruck zu erwecken, dass an den Vorwürfen nichts dran sei“, sagt die SPD-Politikerin Sylvia Bretschneider, „doch eine wirkliche Distanzierung sieht für mich anders aus.“ Die Präsidentin des Schweriner Landtags und Abgeordnete im Kreistag Mecklenburgische Seenplatte ist eine energische Frau mit kurzen blonden Haaren. An diesem Tag hat sie Termine in Berlin; gegen Mittag tritt sie in ein Café nahe dem Abgeordnetenhaus, setzt sich an einen Tisch und zieht ihr iPad hervor. Ihre manikürten Fingernägel klicken leise auf dem Display. Fotos gleiten vorüber, die Kämpfer, die Tätowierungen. Sie zieht die Stirn kraus und sagt: „Es geht nicht um die Veranstaltung an sich, sondern darum, dass sich im Umfeld des Clubs offensichtlich eine Reihe von Leuten aus der rechten Szene befinden.“

Zum Beispiel kursieren im Internet Fotos, auf denen zu sehen sein soll, wie sich einer der Sponsoren auf einem Neonazi-Aufmarsch ums Catering kümmert.

Die Politikerin hat viel versucht, um Widerstand gegen die Fight Night zu organisieren. Sie hat persönlich mit den Sponsoren gesprochen, ihre Fraktion trat im Kreistag dafür ein, solche Kämpfe künftig nicht mehr in öffentlichen Hallen zuzulassen. Es gab lange Diskussionen, viele Gegenstimmen, am Ende hat das wenig gebracht. „Die Rolle von persönlichen Beziehungen habe ich unterschätzt“, sagt sie. Die Stadt ist klein. Man kennt sich, trifft sich auf der Straße, „da fällt es eben schwer, sich auseinanderzusetzen.“

Bretschneider hat im Landtag seit Jahren mit NPD-Abgeordneten zu tun. Ihr geht es darum, zu verhindern, dass die Rechten ihren Einfluss ausbauen. „Machen wir uns nichts vor“, sagt sie. „Wer sehen will, kann ihre Strategien ganz leicht erkennen.“

Es wird allmählich spät in der Stadthalle. Eine Pause noch, dann beginnen die letzten drei Kämpfe. Ein dünner Mann Ende 40 im Kapuzenpulli steht abseits der Menge. Er lächelt traurig, zieht an seiner Zigarette. Andi ist Maurer von Beruf, seinen Nachnamen nennt er nicht. Es ärgert ihn, dass es Leute gibt, die ein Verbot der Fight Night fordern. „Was haben wir denn hier sonst noch?“, ruft er, „’ne hohe Arbeitslosigkeit und ’n Haufen Gören, die auf der Straße rumrennen.“

Als die Pause endet, sinkt Stille über die Straße. Ein Rap-Song wummert nach draußen, harte, fordernde Beats verwehen über dunklen Wiesen am Stadtrand.