USA: DER FALL ABRAMOFF ZEIGT EIN PARLAMENT AUSSER KONTROLLE : Membran mit Löchern
Der offenbar wildeste Lobbyist aller Zeiten, Jack Abramoff, hat vor dem Washingtoner Gericht noch nicht einmal ausgesagt, doch schon schlackern den Politikern beider Parteien die Knie. Dabei ist Einflussnahme durch Geldspenden im Kapitol weit weniger anrüchig als etwa im deutschen Parlament. Wahlkampf in den USA ist eine kostspielige Angelegenheit und Fundraising am Potomac so normal wie bei uns das Verteilen von Werbebroschüren am Busbahnhof. Was nun das politische Washington erschüttert, ist nicht die Tatsache, dass es einem Megalobbyisten gelungen ist, sich mit exzellenten Kontakten und warmen Geldströmen bis in die höchsten Spitzen des Kongresses zu kaufen. Nein, erschreckend sind die plötzlich sichtbar gewordenen Löcher in der hauchdünnen Membran, die die notwendige Interessenvertretung von der blanken Bestechung trennen sollte.
Zudem ist dies der vierte Politskandal innerhalb weniger Monate – nach der intriganten Enttarnung einer CIA-Agentin, der Folterdebatte und dem von Präsident Bush persönlich angeordneten Lauschangriff auf BürgerInnen. Er zeigt der US-Öffentlichkeit, dass ihr gelobtes System aus checks and balances unter dieser Regierung außer Kontrolle geraten ist. Die Republikaner, die die Macht im Weißen Haus und im Kongress ungetrübt von oppositioneller Kontrolle auskosten, sind außer Rand und Band geraten. Das begreifen sogar langsam die Demokraten – was aber nicht heißt, dass George Bushs Tage im Weißen Haus gezählt sind.
Der Fall beschert Kongressmännern und -frauen, MitarbeiterInnen und BeraterInnen nun schlaflose Nächte, weil sie tatsächlich jedes Feingespür verloren haben, wo Bestechung drinsteckt, wenn Geld draufsteht. Dies neu zu definieren, wird die Aufgabe der US-Staatsanwaltschaft sein, wenn sie sich durch das erstaunliche Finanzimperium des Jack Abramoff kämpft. Was selbst Zyniker sprachlos macht, ist nicht der Umstand, dass es einen wie Abramoff und seine politischen Klienten gibt. Vielmehr verwirrt die beschämende Schlichtheit, mit der sich die Welt auf dem Kapitol um seine Finger wickeln ließ. ADRIENNE WOLTERSDORF