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Archiv-Artikel

Ein spektakulärer rot-grüner Schiffbruch

ISLAND Weil die Linksregierung gegen den Volkswillen EU-Vorgaben zur Bankenrettung umsetzen wollte, wird sie rigoros abgewählt. Konservative Verursacher der Finanzkrise erhalten eine zweite Chance

STOCKHOLM taz | Eine vernichtende Niederlage haben Islands Wähler den Parteien beschert, die in den vergangenen vier Jahren versuchten, das Land nach dem Finanzcrash von 2008 wieder zu sanieren. Rot-Grün verlor bei den Parlamentswahlen am Samstag über die Hälfte ihrer WählerInnen. Die Sozialdemokraten stürzten von 30 auf 13 Prozent ab, die „Links-Grünen“ wurden auf 11 Prozent halbiert.

Die nächste Regierung werden die konservative Selbständigkeitspartei und die liberale Fortschrittspartei bilden. Sie kamen zusammen auf eine absolute Mehrheit von 51 Prozent und 38 der 63 Parlamentssitze. Zuletzt hatten beide 1995–2007 gemeinsam regiert. Sie legten damals die Grundlagen für das unkontrollierte Wachstum der einheimischen Banken und damit für den späteren Crash, der das Land an den Rand des Staatsbankrotts brachte.

Island habe sich die „Brandstifter“ zurück ans Steuer geholt, kommentiert Nationalökonom Thorvaldur Gylfason. Schriftsteller Hallgrímur Helgason fragt: Machen wir uns jetzt auf den Weg in die nächste Finanzblase? Offenbar habe die Bevölkerung die Lehren aus der Krise vergessen, meint der Wirtschaftsprofessor Gylfi Magnússon.

Der Soziologe Rúnar Vilhjálms meint, die Wähler seien ungeduldig. Viele Haushalte hatten sich in Zeiten der Kreditschwemme hoch verschuldet. Rot-Grün konnte zwar den Zusammenbruch des Immobilienmarkts teilweise mit einem Gesetz abfedern, das alle Hypothekenschulden über 110 Prozent des Marktwerts erlässt. Doch nachfolgende Tilgungen werden durch eine hohe Inflation erschwert, die die Zinsen in die Höhe getrieben hat. Die konservativ-liberalen Wahlsieger konnten mit ihrem Versprechen von Steuersenkungen und weiteren Schuldabschreibungen punkten.

Ein wichtiger Grund der Abwahl der rot-grünen Regierung war, dass sie sich dem Druck der EU gebeugt hatte und der Staatskasse Milliardenschulden der bankrottgegangenen Privatbanken aufhalsen wollte. Bei gleich drei Volksabstimmungen weigerten sich die IsländerInnen, das angeblich „Unausweichliche“ zu akzeptieren. Ein europäisches Gericht gab ihnen recht und verpasste der Regierung damit eine schwere Niederlage.

Jeder zweite Wähler stimmte diesmal für eine andere Partei als 2009. Erstmals schaffte mit 5,1 Prozent und drei Abgeordneten eine Piratenpartei, Islands „Píratapartýiš“, den Sprung ins Parlament. So etwas wie eine „halbe“ Piratenpartei ist auch der zweite parlamentarische Neuling, die „Leuchtende Zukunft“ (8,3 Prozent). REINHARD WOLFF

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