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Archiv-Artikel

Der Wochenendkrimi Die Nacht der Mütter

„Polizeiruf 110: Kleine Frau“, So., 20.15 Uhr, ARD

Apathisch wankt eine Frau durch die kleine Stadt, ihr Schoß ist blutverschmiert. Kommissarin Johanna Herz (Imogen Kogge) vergnügt sich derweil leicht angespannt auf einem Treffen ihres Abiturjahrgangs, grölt nach ein paar Gläsern Wein auf der Tanzfläche „I Will Survive“ von Gloria Gaynor. Bis der unvermeidliche Anruf kommt: Bei der blutrot gesprenkelten Frau, die da durch die Nacht geirrt ist, handelt es sich um jene Exklassenkameradin, die man zuvor auf dem Fest schon vermisst hat. Sie soll ihren eigenen Sohn mit einem Kerzenständer erschlagen haben, ein Geständnis liegt bereits vor. Polizistin Herz mag daran nicht glauben und forscht nach – obwohl sie im Laufe der Untersuchungen immer stärker mit eigenen Verfehlungen und falschen Illusionen konfrontiert wird.

Der unbestechliche Andreas Kleinert („Wege in die Nacht“) legt die Story von Stefan Rogall als labyrinthisches Nachtstück an. Bankrotte Edelimbisse im American Style, halbfertige Eigenheime und verlassene Bahnhöfe bilden die Szenerie dieses RBB-„Polizeirufs“, der zur regionalen und emotionalen Recherche wird. Brandenburg als soziokulturelles Brachland: Wie schon für den von ihm vor ein paar Jahren überarbeiteten Mecklenburger „Polizeiruf“ inszeniert Kleinert drastisch, aber niemals plakativ. Die Geschichte fokussiert dabei immer mehr auf die nicht mehr richtig jungen, aber lange noch nicht alten Mutterfiguren – auf die verwirrte Frau, die ihren Sohn ermordet haben will. Auf die Einrichtungsberaterin (die wunderbare Steffi Kühnert aus „Halbe Treppe“), die ihre zwei Kinder mehr schlecht als recht mit Überstunden durchbringt. Und schließlich auf Ermittlerin Herz selbst, die als besser verdienende Beamtin herzlich wenig von den Nöten ihrer Freundinnen weiß, aber ebenfalls eine gewisse Entfremdung von der eigenen Tochter durchlebt.

Dabei ist Regisseur Kleinert klug genug, die Kinder selbst nur am Rande auftauchen zu lassen. „Kleine Frau“ ist vor allem ein Porträt gestandener weiblicher Persönlichkeiten. Ob tapfer, verzweifelt oder vorlaut: Eine jede hat hier ein legitimes Anliegen, das sie durchzusetzen versucht.

Und so gewinnt auch Imogen Kogges bislang etwas konturlose Kommissarin Herz an emotionaler Tiefe, ohne dass sie dafür als schillerndes Familientier in Szene gesetzt wird. Im März wird Kogge übrigens in Hans-Christian Schmids „Requiem“ zu sehen sein, einer Studie über religiösen Wahn und provinzielle Enge, in der sie mit beängstigender Konsequenz eine christlich-fundamentalistische Hausfrau spielt. Von Kogge, der Mutter- und Kommissardarstellerin ohne Mütterlichkeitsfimmel und Kommissarinnengetue, darf man noch viel erwarten. CHRISTIAN BUSS