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Archiv-Artikel

Ein Leben für die sozial Schwachen

SOZIALPOLITIK Kampf gegen Armut, das ist sein Leben: Herbert Thomsen engagiert sich seit 20 Jahren für Sozialhilfe-Empfänger – mit ganzer Arbeitskraft. Andere bekommen für sowas das Bundesverdienstkreuz. Aber nicht, wenn sie gegen das System sind, das so viele arm macht

Politisch Druck machen – das kann nur, wer unabhängig ist

Von KLAUS WOLSCHNER

Vegesack, Lindenstraße 1 b. Drei Männer warten auf dem Flur des alten Geschäftshauses. Zur Hälfte steht das Gebäude leer, in der anderen Hälfte hat sich der „Bremer Erwerbslosenverband“ (BEV) eingemietet. Rund 300 kommen jeden Monat zur Beratung, sagt Herbert Thomsen (56). Viele brauche Hilfe beim Ausfüllen der Formulare für die Sozialhilfe, die jetzt Hartz IV heißt. Viele verstehen nicht, warum ihnen das Amt die Kosten für Unterkunft oder Heizung nicht voll erstatten will. Manche sind auch konfrontiert mit Rückforderungen, weil die Bagis-Behörde beim elektronischen Datenabgleich mit Informationen des Finanzamtes festgestellt hat, dass Hartz-IV-Empfänger Nebeneinkünfte nicht angegeben haben. „Einmal war da eine Zinsüberweisung von 2,64 Euro, die moniert wurde“, sagt Thomsen, es geht der Bagis-Behörde ums Prinzip. Oft geht es um Schwarzarbeit – die Hartz-IV-Empfänger geben gutgläubig ihre Versicherungsnummer an, wenn sie sich in paar Euro dazuverdienen wollen, und ahnen nicht, wie eng das Netz der elektronischen Kontrolle inzwischen ist.

In fast jedem Beratungsfall geht es darum, dass die Bescheide der Bagis-Behörde nicht durchschaubar sind für ihre „Kunden“ – da steht im Zweifelsfall eine Summe unter dem Strich, aber es ist nicht erklärt, mit welcher Rechnung die Behörde darauf gekommen ist. „Um das nachprüfen zu können, muss man richtig Fachkenntnisse haben“, sagt Thomsen. Er macht das jetzt seit bald 20 Jahren. Immer wieder erwischt er die Behörde bei Fehlern. „Früher, als das Sozialamt zuständig war und das Arbeitsamt, gab es deutlich weniger Fehle in den Bescheiden“, sagt er. Der Erwerbslosenverband lebt vor allem von Spenden – die „Berater“ haben selbst nicht viel mehr als die Hartz-IV-Empfänger.

Wie kommt einer wie Herbert Thomsen dazu, die Beratung von Sozialhilfe-Empfängern sich zur Lebensaufgabe zu machen? In seiner Jugend hat Thomsen „Technischer Zeichner“ gelernt, bei der AG Weser. Damals, erinnert er sich, war „Gustav“ der Betriebsratsvorsitzende, Gustav Böhrnsen, der Vater des heutigen Bürgermeisters. Anfang der 70er Jahre muss das gewesen sein. Thomsen war politisch aktiv, Jugendvertreter auf der Werft. Schon damals hat das politische und gewerkschaftspolitische Engagement zwei Drittel seiner Arbeitszeit ausgefüllt, erinnert er sich. Gustav Böhrnsen ging in Rente, Nachfolger wurde Hans Ziegenfuß, das ist der Betriebsratsvorsitzende, der dem Bremer Bürgermeister Hans Koschnick 1983 sein SPD-Parteibuch vor die Füße warf. Der Krupp-Konzern hatte beschlossen, die 1872 gegründete Werft zu schließen, die Werftarbeiter hatten erwartet, dass die SPD, die sie immer unterstützt hatten, ihnen helfen könnte.

Auch Thomsen wurde damals arbeitslos, bis die Bremer DKP den engagierten jungen Genossen zum hauptamtlichen Sekretär in ihrer Parteizentrale machte. Für Betriebs-und Gewerkschaftsarbeit war er zuständig, zehn Jahr lang bis zum bitteren Ende 1989. In dieser Zeit ist er übrigens auch einmal von seinem „Org-Sekretär“ nach Ostberlin geschickt worden, die Genossen wollten ihn sprechen. Einen Tag lang, erinnert er sich, beschäftigte man sich mit ihm, bis dann endlich einer der SED-Funktionäre die Katze aus dem Sack ließ: Man wolle ihn militärisch ausbilden – für den Fall, dass bewaffneter Kampf hinter den Linien des Imperialismus erforderlich sei. Thomsen bekam später von seinem Org-Sekretär sogar einen Termin für einen vierwöchigen konspirativen Lehrgang – weil er aus privaten Gründen absagen musste, kam es dazu nicht. Thomsen schlug sich kurz danach in der innerparteilichen Diskussion auf die Seite der „Erneuerer“ in der DKP, vermutlich deswegen hat er nie wieder etwas von der geplanten Militär-Ausbildung gehört.

Im Januar 1990 stand Thomsen wieder auf der Straße – die DKP musste, als das Geld aus Ostberlin nicht mehr floss, ihre hauptamtlichen Kader entlassen. Wenig später gründete Thomsen mit anderen die „Solidarische Hilfe“, die sich die Sozialberatung auf die Fahne geschrieben hatte. Die wird finanziert mit Geldern des Bremer Sozialressorts. Jahrelang war er Geschäftsführer dort. Und immer wieder zeigte sich, dass eine unabhängige politische Arbeit im Interesse der Sozialhilfeempfänger nicht möglich ist, wenn man gleichzeitig vom Sozialressort das Geld bekommt. Thomsen weiß, wovon er redet. Es waren Mitglieder der „Solidarischen Hilfe“, die vor Jahren – damals war er noch Geschäftsführer – gegen den Staatsrat des Sozialressorts, Hans-Christoph Hoppensack, Strafanzeige erstatteten. Hoppensack hatte damals die Akte eines ausländischen Sozialhilfeempfängers auf seinem Tisch liegen lassen, der dringend die Zustimmung zu einer Operation gebraucht hätte – und dann verstarb. „Ein halbes Jahr nach der Strafanzeige sind die Zuschüsse für die Solidarische Hilfe durch das Sozialressort deutlich abgesenkt worden“, erinnert sich Thomsen. Lieber arm und frei als eine abgesicherte Sozialberaterstelle mit politischem Maulkorb, das ist seine Devise.

Vor einem Jahr hat sich Thomsen daher von der Solidarischen Hilfe getrennt – und mit anderen einen eigenen Verband gegründet, eben den Bremer Erwerbslosenverband. Wenn das Sozialressort Gesetze nicht beachtet oder zum Beispiel das Wohngeld zu niedrig bemisst, dann will Thomsen das laut sagen dürfen. Und in einer politischen Kampagne Druck machen auf die Sozialpolitik der SPD, „das geht nur von außen, wenn man unabhängig ist“, sagt er.

Zum 5-jährigen Jubiläum der Hartz-IV-Gesetzgebung lud er in dieser Woche zu einer Diskussion in die Lindenstraße ein. Das sei doch eine „Erfolgsstory“, heißt es in der Einladung sarkastisch – für manche: Zwar haben sich die Zahl der „Kinder in Armut“ verdoppelt, aber die „Ein-Euro-Jobber“ entlasteten den Staatshaushalt und da Hartz-IV-Empfänger fast jeden Job annehmen müssen, habe manches Unternehmen seine Profite durch niedrigere Löhne steigern können.

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