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Archiv-Artikel

Ganz groß in Mode

WARE Ein Selbstgespräch mit einer bekennenden Katalog-Shopperin

Aufschlagen, auswählen, aufmachen, ausprobieren

Verkündung: Am Dienstag, dem 2. Februar, gibt der Bundesverband des Versandhandels seine neuen Zahlen bekannt. Zum Versandhandel gehört alles, was über den Postweg verkauft wird. Auch die ganzen Internetshops.

Verkauft: Nach bisherige Zahlen aus dem Jahr 2009 werden 7,4 Prozent des Umsatzes im Einzelhandel vom Versandhandel gemacht. 29 Milliarden Euro werden umgesetzt. Die Hälfte über den Online-Handel.

Vermittelt: 70 Prozent der Online-Käufer informieren sich vor dem Kauf anhand von Katalogen. Diese sind bisher unverzichtbar. Der Trend geht jedoch zu kürzeren Zeiträumen, in denen der Katalog gültig ist.

Versandt: Es gibt 52,1 Millionen Versandhandelskunden – 24,1 Millionen Männer und 28 Millionen Frauen. Bekleidung, Textilien und Schuhe bilden mit 38 Prozent das größte Marktsegment im Internethandel.

VON WALTRAUD SCHWAB

Im Januar geht es der Katalog-Shopperin gut. Wenn alle jammern, weil so kalt, zieht sie aus ihrem Briefkasten die Kataloge.

Da, erst vorgestern einen. Die Katalog-Shopperin zeigt ihn. Eine zarte Schönheit mit wilden braunen Haaren ziert den Titel. Die Frau trägt einen Eimer mit Sonnenblumen im Arm. Ihr Kleid ist übersät mit Blüten. „Da ist doch Hoffnung“, sagt die Katalog-Shopperin. „Frühling 2010“ steht auf dem Deckblatt. „Zum Greifen nah.“

Auch andere Frühlings- und Sommerkataloge sind schon im Haus der Katalog-Shopperin eingetroffen. Manche haben schöne Namen. „Waschbär“ heißt einer. Der andere „Panda“. Ein dritter gar „Poetry“. Von allen lachen Frauen. Auf einem essen Kinder auch Eis. Die meisten der Kataloge, die bei ihr landen, machen auf Nachhaltigkeit und soziales Image. Auch ältere oder farbige Models kommen drin vor. Schönes, ohne gutes Gewissen, das sei ein Widerspruch. „Ich will niemanden ausbeuten“, sagt die Katalog-Shopperin. Kennt sie, wie beim Katalog, der „Poetry“ heißt, die Prinzipien des Versands nicht, fragt sie nach. Eine Antwort hat sie allerdings noch nicht.

Die Katalog-Shopperin ist keine Individualistin – außer ihr gibt es 52 Millionen, die ihre Sachen im Versandhandel kaufen – aber nicht jeder Katalog ist ihr willkommen. „Otto oder Neckermann, und früher auch Quelle, das geht nicht“, sagt sie. Sie erklärt es gestenreich: „Wenn ich zugeschüttet werde, wie bei den Versandhäusern, die alles anbieten, dann geht das Schöne verloren.“

Zu viel, das kann sie nicht ertragen. Da liegt sie im Trend. Der ginge auch bei Katalogen zu überschaubaren Sortimenten, liest die Katalog-Shopperin in Analysen. Sie ginge doch auch nicht in Kaufhäuser, sagt sie. „Sobald ich bei Karstadt stehe, bei Kaufhof, stürzen die Waren auf mich ein und ich geh darin unter.“ Der Niedergang der Warenhäuser überrascht sie nicht. Kataloge dagegen, da könne sie drin flanieren, frei atmen, ihre Augen schweifen lassen und ihre Gedanken. In ihrer Fantasie trägt sie dann die Kleider und nicht mehr die Models. „Wenn ich ausgelaugt bin, dann mach ich das gerne“, sagt sie. Es sei eine Welt voller Farben. „Sie ist in meinem Kopf.“ Sie schaut sich die Kataloge öfters an. Anders als im Kaufhaus gibt es kein „Jetzt oder nie“. Irgendwann merke sie, woran ihr Auge hängen bleibt. Dann kann es sein, sie bestellt’s.

Früher hat sie angerufen beim Versandhaus, jetzt bestellt sie online. Das machen viele so. Mehr als zwei Drittel der Leute, die online bestellen, gucken vorher aufs Papier. Der Katalog ist nicht out. „Ohnehin werden die immer schöner“, sagt die Katalog-Shopperin. Ein wenig Reisebericht über die Orte, wo fotografiert wurde, ein wenig Nachhaltigkeitsnachhilfe, ein wenig Gutmenschentum komme hinzu. „Andere zappen oder trinken Alkohol auf der Suche nach Welt, die nicht weh tut.“

Dann erklärt die Katalog-Shopperin das mit dem Bestellen. „Ich bestelle viel auf einmal“, sagt sie. Denn das Meiste schickt sie wieder zurück. Normal sei das. Kaufhaus-Fans schleppten auch haufenweise Zeug in die Kabine. Einmal hätte eine Bekannte ihr vorgeworfen, wie unökologisch das sei, denn der Auslieferer müsse ja extra zu ihr kommen. „Wie, glaubt die eigentlich, sind ihre Sachen ins Kaufhaus gelangt?“ Ganz wichtig sei, findet sie, dass man die Pakete, so sie denn ankommen, nicht aufreißt wie wild. Man brauche die Kiste noch fürs Zurückschicken. Wenn die Pullover und Hosen und Büstenhalter und T-Shirts dann vor ihr liegen, freut sie sich zum zweiten Mal. Manchmal zumindest.

Das Schönste, meint die Katalog-Shopperin, seien die Anproben im Wohnzimmer. Keine enge Umkleidekabine, kein scheußliches Licht. Die Katalog-Shopperin wartet auf ihre Freundin, dann geht es zur Sache. Das Zeug wird probiert. Zu eng, zu weit, dicker geworden oder beißen die Farben? Rutscht der BH oder zwickt er? Und was, immer noch ist 38 zu klein? Zu lange Hosen werden umgesteckt, Pullover mit Vorhandenem kombiniert. Zwischendurch wird Tee getrunken. „Wie Frauen das machen“, sagt die Katalog-Shopperin. Sie weiß, dass sie belächelt wird. Von allen, außer den Versendern. 29 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Tendenz steigend.

Wichtig sei, meint die Katalog-Shopperin, dass ein Postamt in der Nähe ist. Beim Ausliefern landeten die Pakete ja noch bei Nachbarn. „So komme ich mit denen ins Gespräch.“ Das Zurückschicken allerdings sei eine Hürde. Vor kurzem wurde die Postfiliale bei der Katalog-Shopperin geschlossen. „Das stand mein Konsumwille vor dem Aus“, sagt sie. Sie hat die Krise überwunden.

Waltraud Schwab ist sonntaz-Reporterin und Katalog-Fetischistin