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Archiv-Artikel

Statt Förderalismus nur Kleinstaaterei

Sachverständige und Deutsche Umwelthilfe kritisieren Förderalismusreform: Die Zuständigkeiten für die Umweltpolitik bleiben zersplittert. Dabei verhindert Kleinstaaterei effizienten Hochwasserschutz. Auch EU-Richtlinien werden nicht umgesetzt

AUS BERLIN NICK REIMER

Der Brief an die „sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin!“ kommt schon im ersten Absatz zur Sache: Der „vorgesehene Kompetenzkatalog für den Umweltschutz erscheint uns lückenhaft, unsystematisch“. Absender dieser schriftlichen Rüge ist der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Er moniert die geplante Föderalismusreform, auf die sich kurz nach der Bundestagswahl SPD, Union sowie die Mehrheit der Länder geeinigt hatten. „Die umweltpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik“ werde geopfert.

Die Deutsche Umwelthilfe DUH ist in ihrem Urteil noch drastischer: „Die von Bund und Ländern vorgeschlagene Reform wird zu einem Wettbewerb der Bundesländer um die niedrigsten Umweltstandards führen“, prophezeit Cornelia Ziehm, bei der Deutschen Umwelthilfe für Recht zuständig. Das Ziel sei sogar konterkariert worden, einfachere, plausiblere und bundeseinheitliche Regelungen zu finden. „Zum Beispiel beim Hochwasserschutz: Seit 1996 versucht der Bund, die Länder zu Bauverboten in Überschwemmungsgebieten zu zwingen. Tritt die Förderalismusreform so in Kraft, wie jetzt vorgesehen, können die Länder von solchen Vorgaben nach Belieben abweichen.“

Ein weiteres Beispiel ist das „Recht der Umwelt“, das eigentlich grundgesetzlich geschützt ist. In der Verfassung heißt es im Paragraf 20a: „Der Staat schützt … die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere … durch die Gesetzgebung.“ Ein Umweltgesetzbuch gibt es aber nicht – und ist, obwohl immer wieder gefordert, von den Förderalismusreformern auch nicht vorgesehen. Das bedeutet: Die Belange der Umwelt werden von vielen Gesetzen zwar berührt – aber nur als nachrangig eingestuft. DUH-Expertin Ziehm: „Dieses zersplitterte Umweltrecht muss zusammengefasst werden!“

Immerhin diese Hoffnung hat die DUH-Expertin: „Diese Reform ist nicht europatauglich.“ Will heißen: Wenn Deutschland seine förderalen Strukturen so ordnet, wie derzeit vorgesehen, wird die EU der Bundesrepublik „gehörig auf die Finger klopfen“. Tatsächlich nämlich spiele die Kraft der Europäischen Kommission heute eine zentrale Rolle. Ziehm: „Allenfalls noch 20 Prozent der umweltrelevanten Entscheidungen liegen noch im nationalstaatlichen Ermessen.“

„Nach zwei Jahren gegenseitiger Blockade haben Union und SPD nun schlampig eine Verfassungsreform ausgearbeitet“, urteilt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Nicht nur das: „Sie wollen dies auch hoppla-hopp über die Bühne bringen.“ Warum denn nicht Sachverstand einholen, fragt Resch. Vom Bundesumweltamt zum Beispiel. Von Umweltjuristen. Vom Sachverständigenrat für Umweltfragen. „Wofür gibt es denn solche Sachverständigen“, fragte Resch: „Deren Job ist doch nicht, in Brandbriefen der Regierung zu erklären, was sie alles falsch gemacht hat.“

„Wir haben uns Ende des Jahres auch an Innenminister Wolfgang Schäuble und Umweltminister Sigmar Gabriel gewandt und eindringlich Korrekturen des misslungenen Umweltteils angemahnt“, erklärte gestern Christian Hey, Generalsekretär des Sachverständigenrats gegenüber der taz. Für die nächsten Wochen hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen zudem eine „umfangreiche Stellungnahme“ angekündigt. Doch die Briefe an Merkel, Schäuble und Gabriel blieben bisher ohne Resonanz. Hey: „Antworten haben wir noch nicht.“ DUH-Chef Resch setzt jetzt auf die Experten in der großen Koalition: „Die Umweltpolitiker der Regierungsfraktion werden begreifen, was da auf sie zurollt. Und sie werden Korrekturen erreichen.“

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