: Abgeordnete Nummer 95
Nein, sie sei nicht sauer, sagt Christina Musculus-Stahnke: „Ich fühle mich ziemlich neutral.“ Bis vor zwei Tagen war die 47-Jährige noch Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtags, die Abgeordnete Nr. 95, eingezogen über die Liste der FDP. Am Donnerstag musste sie ihren Platz räumen, dafür bekamen die Linken einen Sitz mehr. Musculus-Stahnke feierte noch ihren Abschied, nun hat siewieder mehr Zeit für ihre Anwaltskanzlei.
Grund für das Stühlerücken im Kieler Parlament waren Wahlprüfungen. In mehreren Bezirken zeigten sich dabei leichte Änderungen. Ganz zum Schluss ging es um vier Stimmen, die die Linke zusätzlich brauchte, um die FDP beim Rennen um Sitz 95 zu schlagen. Bei der Neuauszählung kam dann zum Vorschein, dass in Husum 32 Stimmen für die Linke nicht notiert waren. Damit war klar, dass Musculus-Stahnke gehen muss.
Drei Monate lang gehörte die Juristin dem Landtag an. Ihre Jungfernrede hielt sie über studentische Mitbestimmung, an den manchmal rüden Umgangston hat sie sich allmählich gewöhnt, sie arbeitete in Ausschüssen mit, und auf ihre zweite Rede, es ging um Denkmalschutz, wurde sie beim Einkaufen angesprochen. „Daran kann man sich schon gewöhnen“, meint sie.
Als im September nach der Landtagswahl klar war, dass die FDP knapp 15 Prozent der Stimmen hatte und Musculus-Stahnke einen Sitz bekam, reduzierte die Familienanwältin ihre Arbeit. Als Selbständige sei es ihr möglich gewesen, Beruf und Politik unter einen Hut bringen zu können: „Das ist schon ein Vorteil.“ Dennoch muss sie nun die Kanzlei „wieder hochfahren“.
Bis das Landesverfassungsgericht endgültig über das Wahlergebnis entschieden hat – geprüft werden Überhangmandate – darf sich Musculus-Stahnke auch noch nicht als Privatperson fühlen: Obwohl sie keinen Sitz mehr hat, bleibt ihr der Status einer Abgeordneten erhalten, wenn auch ohne Diäten. Der Nachrücker, der Linke Björn Thoroe, ist „Abgeordneter auf Widerruf“. Es war sogar darüber spekuliert worden, ob die FDP-Frau ihr Abgeordnetengehalt zurückzahlen muss. Das fände sie aber ein bisschen unfair: „Denn ich habe ja schließlich dafür gearbeitet.“
ESTHER GEISSLINGER