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Archiv-Artikel

Alias – Agent in eigener Sache

Die Macher im Off (2): Mario Mentrup schlüpft seit fast 20 Jahren durch alle nur denkbaren Künstler-Rollen. Er ist Schauspieler, Musiker, Filmemacher, Performer, Provokateur. Ihm in der Stadt zu begegnen ist nicht schwer – ihn zu fassen schon eher

VON JÖRG SUNDERMEIER

Mario Mentrup kann gut stehen. Während der Fotograf ihn ablichtet, steht er, ohne zu posieren. Er weiß, wie mit Kameras umzugehen ist und wie mit Fotografen, er weiß, was die Kamera macht. Er blinzelt nicht, bevor es blitzt, er rechnet mit dem Blitz. „Du weißt, wie du zu stehen hast“, sage ich zu ihm. Sofort macht er auf blöd. Für den Fotografen und mich. Dann wieder ist er sehr schnell ernst. Er möchte die Lage beherrschen, indem er sie auflockert. Ganz professionell.

Eigentlich gilt Mario Mentrup als wirr und hyperaktiv. Bislang kannte ich ihn nur aus der Ferne. Das erste Mal sah ich Mentrup vor Jahren in einer Kellergalerie in der Kastanienallee. Dort war eine Präsentation der Gruppe M. Die Gruppe M hat einiges gemacht, ziemlich viele kennen sie, kaum jemand weiß allerdings, wofür nochmal genau. Damals in diesem Keller stellten sie die „M-Box“ vor. Eine angestrengte Boheme hatte sich versammelt, es roch muffig, war voll, doch nicht zu sehr, und der Moderator, Mentrup, nervte. Aber es gab Bier und nichts Besseres in der Gegend. Mentrup, betrunken und penetrant, verhökerte die „M-Boxen“: Pappkartons, in denen ein Polaroid lag, auf dem der jeweilige Käufer zusammen mit der Gruppe M verewigt war. Abschließend hieb Mentrup mit einem Kugelschreiber ein „M“ in die Kartons. Er war laut. Viele kauften die gar nicht billigen Boxen, damit der Moderator endlich aufhörte. Offensichtlich war das seine Absicht.

Situationen schaffen, darum geht es ihm. Um das zu erreichen, spielt Mario Mentrup – immer: auf der Bühne, vor der Kamera, als Autor, Sänger oder Privatier. Er ist der Agent seiner selbst, im eigenen Auftrag. Dieser Auftrag lautet: Avantgarde sein – oder zumindest spielen. 1995 gab Mentrup das Lesebuch „Bubizin/Mädizin“ heraus, mit Geschichten von Darius James, Françoise Cactus, Billy Childish, Stuart Home und anderen. Will man wissen, wie es im Kreuzberger Hirn der frühen Neunziger aussah, braucht man nichts weiter als dieses Buch. Darin findet sich auch ein Eintrag des Herausgebers: „Mein Name ist Mario Mentrup, geboren 1965 in Emden, seit 1987 in Berlin. Sänger und Gitarrist bei Knochengirl, Mitarbeiter der Super!Bierfront, mehrere Decknamen. Filmemacher/Darsteller.“

Mehrere Decknamen. Super!Bierfront. Das klingt sehr Achtzigerjahre-mäßig, sehr nach Kreuzberg, sehr nach Lederjacke und Kajalstift. Nach einem Möchtegern-Outlaw. Doch Mentrup war bereits in der Schule Außenseiter, er hat zu früh das Richtige gelesen, das, was damals den anderen Pubertierenden noch (oder für immer) als das Falsche galt. Er will nicht für anders gehalten werden, er will anders sein, nichts weiter. Anders sein. Mehr ist da nicht zu sagen.

Betritt Mentrup einen Raum, beginnt er zu spielen. Das war auch beim Interview so: Als man dachte, er sei schon im verabredeten Café, und hineinging, war er plötzlich da, zeitgleich in der Tür. Er hatte gewartet, gelauert, um seinen Auftritt zu haben, der ihn plötzlich und überraschend in den Raum, mitten in die Situation, zauberte.

Mit Mario Mentrups Werdegang kommt keine Chronologie zurecht – zu viel lief da immer parallel. Viele kannten ihn, als es Knochengirl noch gab, ein sehr disparates Quartett, das Noise spielte, dessen Sängerin Tanja Kopecky aber nicht schrie, sondern sang. Drei Alben kamen heraus, „Gammler & Bulimie“ ist das bekannteste, „Knochen= Girl“, das letzte von 1996, das beste. Kopecky zuliebe gab es dann später Ladybird, eine Band, die nur Coverversionen von 70er- und 80er-Hits aufführte, Discomusik. Das Projekt Shopping Christel, gleichzeitig Gegenband und Hommage an Throbbing Gristle, gibt es noch, es tritt aber selten auf.

So vielseitig sein Musikgeschmack, so vielseitig seine Schauspielrollen. Mentrup ist unter anderem in Filmen von Bruce LaBruce, Rainer Knepperges oder Buddy Giovinazzo zu sehen, auf Bühnen spielt er in Stücken von Schiller oder Angela Richter am Theaterhaus Jena oder im HAU. Diese Produktionen eint, dass sie nicht klassischer Autorenfilm oder Abonnententheater sind, sondern zum Underground zu zählen wären, wenn das Wort noch etwas taugte. Mentrup selbst gefällt das Wort nicht, doch der Habitus, den man in den Achtzigern mit dem Wort verband, gefällt ihm. Diesen Habitus versucht er ernsthaft zu leben – auch auf die Gefahr hin, dass er sich lächerlich macht. „Mich interessieren Nicole Kidman oder Tom Cruise weniger als Crispin Glover oder Vincent Gallo.“ Die Bad Boys. Immer die Bad Boys. Immer die Ausnahmetypen mit Vollmeise, die sich selbst das wichtigste Publikum sind.

Die Frage danach, ob Mario Mentrup sich auf der Off-Seite eingerichtet hat, lässt er offen. Er weiß, dass viele Leute das Obskurante oft deshalb pflegen, um sich interessant zu machen. Mentrup will lieber Erfolg haben mit dem Abseitigen, dem vermeintlich Minderwertigen, dem Trash und dem Mysteriösen. Kleinkunst und das künstlerische Ziel „Kultstatus“ taugen ihm deshalb nicht viel. Seit neuestem hat er es sogar eher mal geschafft, seinen Narzissmus auszubremsen, seiner Dauerinszenierung nicht mehr eine ganz so große Menge an Output abzuverlangen. „Es beruhigt mich, in letzter Zeit nicht mehr im Mittelpunkt stehen zu müssen“, sagt er.

In dem Film „Stadt des Lichts“, einem Western als Antiwestern als Science-Fiction-Geschichte, der kürzlich im Großen Haus der Volksbühne uraufgeführt wurde, führte er Regie. Er habe, erzählt Mentrup, als Junge öde Landschaften schätzen gelernt, auf einsamen Spaziergängen. Die habe er im Film zeigen wollen. Dann hat er für die Musikerin Angie Reed einige Songs geschrieben. Mit dem von ihm mitgeführten Verlag Maasmedia, der Speziallektüre in Kleinstauflagen verbreitet, macht er regelmäßig Veranstaltungen im Kaffee Burger. Es ist nicht schwer, Mario Mentrup zu treffen. Es bleibt allerdings schwer, ihn zu fassen.