Revolution now

THEATERTEST Das deutsch-britische Performance-Kollektiv Gob Squad lud zur Generalprobe in die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Denn seit dem Jahr 2000 spielen auch Zuschauer und Passanten in ihren Stücken mit

Das Testvolk lässt sich derweillangsam einlullen vom freundlichen Charme dieser Inszenierung

VON ESTHER SLEVOGT

Die schönen Zeiten, als im Theater noch Revolutionen angezettelt worden sind, hat neulich in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz schon Fabian Hinrichs beschworen – in René Polleschs jüngstem Produkt: „Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang.“ Nun hat sich an gleicher Stelle das deutsch-britische Performance Kollektiv Gob Squad unter der Überschrift „Revolution now!“ dieser Frage angenommen. Eine Woche vor der Premiere wird zum ersten Mal unter Echt-Bedingungen geprobt, kommt also zu den Performern auch echtes Test-Volk dazu, das bekanntlich zur Anzettelung revolutionärer Umstürze erst mal gewonnen werden will.

Da aber schon manche Revolution in die Hose ging, weil das Volk bereits das Stück nicht verstand, ist die Produktionsleiterin zunächst fieberhaft mit der Erklärung des Prozederes befasst, während der Pressereferent sich Sorgen macht, ob beim Schneesturm, der draußen herrscht, überhaupt weiteres, und für das interaktive Konzept dieser Theaterproduktion unbedingt erforderliches Volk für die Bühne zu rekrutieren ist. Aber der Mann kann beruhigt werden. Bei ähnlichen Wetterverhältnissen haben die Bolschewiken im November 1917 das St. Peterburger Winterpalais des russischen Zaren erstürmt, was dann bekanntlich einer der Signalreize für die große Russische Revolution gewesen ist.

Bald lagert das Testvolk denn auch höchst bequem auf Seesäcken im gänzlich entstuhlten Volksbühnenzuschauerraum, der so für Frank Castorfs Inszenierung von Friedrich von Gagerns „Ozean“-Schinken über gescheiterte und nun per Schiff flüchtende Revolutionäre der 48er Revolution hergerichtet worden ist.

In einem Englisch, wie es außer ihm wahrscheinlich nur noch Prince Charles intoniert, führt Simon Will, einer der Ur-Gob-Squader, in die Veranstaltung ein. Aber bald hat dann der sanfte Bastian Trost in goldbetrasster Zirkusdirektoren-Uniform als „Instructor of the Masses“ die Leitung übernommen: eine Mischung aus Sergeant Pepper und Peter Pan.

Dabei muss man wissen, dass Gob Squad im Grunde große Romantiker sind, die statt Revolutionierung der Welt sich ihre Poetisierung auf die Fahnen geschrieben haben. Schon in der beim Festival Impulse vergangenen November mit dem Preis des Goethe-Institus ausgezeichneten Produktion „Saving the World“ ging es um die Verzauberung schnöder Alltagsphänomene, die Rettung der Welt durch ihre Überführung in Kunst. Die Welt, die an diesem Montag am Rosa-Luxemburg-Platz nun draußen still und schweigend im Schnee versinkt und die wir durch das Auge einer Kamera immer wieder in den Blick bekommen, als großes über der Bühne auf eine Leinwand projiziertes Bild, während eine Gruppe von Schauspielern umgekehrt per Life-Videoübertragung Kontakt aufzunehmen versucht.

Das Testvolk, das derweil auf den Seesäcken lagert, lässt sich langsam einlullen vom freundlichen Charme dieser Inszenierung, in der Revolutionäre höflich darüber Auskunft geben, ob sie für eine Idee sterben oder ihre Freunde und Familie verraten würden. Solche Anforderungen kann eine Revolution an ihre Kinder ja schon mal stellen. Und dass Gob Squad dieses natürlich nicht gutheißt, das teilt sie bereits mit den grässlichen Verhörbildern von den interviewten Revolutionären mit, die auf eine Großleinwand über die Szene projiziert werden und uns kurz auf unseren Seesäcken frieren lassen.

Aber auch die Idiotie der Posen, die sich die Popindustrie von der Revolte geliehen hat, wird hier in ihrer ganzen verblödenden Komplexität vorgeführt. Und in der Demonstration des simplen Sachverhalts, dass die meisten die revolutionären Liedtexte überhaupt nicht verstehen, die uns wie ein freundlicher Kindergärtner Bastian Trost einmal vorbuchstabiert. Macht Revolution überhaupt Sinn? ist die berechtigte Frage, die uns dieser charmante Abend in großer Freundlichkeit stellt.

Zur Verdeutlichung hat längst auch die schöne Schauspielerin Laura Tonke die Szene betreten, die einst als Gudrun Ensslin in Christopher Roths Film „Baader“, aber auch bei „Saving the World“ dabei gewesen ist. Hier hat sie jetzt die Rolle der Fahnen schwingenden Revolutionsallegorie Liberté übernommen, wie sie 1830 das ikonografische Gemälde von Eugène Delacroix „Die Freiheit führt das Volk“ unsterblich gemacht hat. Naiv, weil sie glaubt, dass das Volk es so will, entblößt sie kunsthistorisch korrekt ihre Brust und wirft sich in verschiedene Gemäldeposen. Dann zieht sie sich wärmer an. Denn nun geht es nach draußen, wo nämlich das Volk für die Revolution gewonnen werden will. Zu diesem Zweck wird im Schneesturm allerlei Echtvolk angesprochen, ein Treiben, das sich per Video auch auf den Sandsäcken im Liegen verfolgen lässt. Irgendwann wird auch welches gewonnen, das zu einem hochmelancholischen Schlussbild arrangiert wird, als dessen Urheber jener unbekannte Leipziger gelten kann, der bei den Montagsdemonstrationen vor zwanzig Jahren, als alle Welt „Wir sind das Volk“ gebrüllt hat, trotzig ein Schild hochgehalten hat, auf dem „Ich bin Volker“ geschrieben stand.