„Rote Linie“ wird zum Fallstrick

USA/SYRIEN Immer mehr Senatoren und Kommentatoren drängen US-Präsident Obama zum Handeln in Syrien. Die Mehrheit der US-Bevölkerung ist gegen einen Militäreinsatz

Nur 13 Prozent sind bei bewiesenem Giftgaseinsatz für Luftschläge gegen Syrien

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Vor acht Monaten hatte US-Präsident Barack Obama gedroht, würde Syrien Chemiewaffen einsetzen, sei damit eine „rote Linie“ überschritten, die sein „Kalkül“ ändern würde. Nach Berichten über Gftgaseinsatz verlangen die Falken in Washington jetzt , dass Obama bewaffnete Taten folgen lässt.

Da sind einerseits republikanische Senatoren wie John McCain und Lindsey Graham, die seit mehr als einem Jahr nach Waffen für die syrischen Rebellen verlangen und sich jetzt für gezielte Angriffe aus der Luft nach dem Vorbild Israels einsetzen. Und da melden sich zunehmend auch Politiker aus den demokratischen Reihen zu Wort. Als letzter reichte der demokratische Senator Bob Menendez, Vorsitzender des Komitees für Außenbeziehungen, einen Gesetzesentwurf ein, der den Weg für Waffenlieferungen und militärische Ausbildung der Aufständischen freimachen soll. Eine „sorgfältige Sicherheitsprüfung“ soll verhindern, dass die Waffen in die Hände der falschen Aufständischen gelangen, die im Zeichen des Dschihad nicht nur gegen das Regime in Damaskus, sondern auch gegen die USA kämpfen.

Doch während die Falken in Politik und Medien lauter werden, ist Obama zugleich mit einer öffentlichen Meinung konfrontiert, die ganz überwiegend gegen jedes militärische US-Engagement in Syrien eingestellt ist. In den Umfragen sprechen sich rund zwei Drittel der US-Amerikaner gegen Waffenlieferungen und Flugverbotszonen aus. Selbst ein bewiesener Chemiewaffeneinsatz in Syrien würde diese Meinung nicht umwerfen. Nach einer Studie des Christian Science Monitor würden in dem Fall 48 Prozent der US-AmerikanerInnen eine stärkere humanitäre Hilfe für ZilivistInnen sowie gewisse technische Hilfen für die Rebellen befürworten. Nur 13 Prozent würden militärische Luftschläge unterstützen.

In einer Reaktion auf die Bombenangriffe Israels in Syrien am vergangenen Wochenende hat Obama bei einem Interview auf einer Mittelamerikareise erklärt, er wolle es Israel überlassen, diese Schläge „zu dementieren oder zu bestätigen“. Aber auf jeden Fall habe Israel das Recht, sich selbst zu verteidigen. KennerInnen der Spezialbeziehung zwischen Israel und den USA halten es für unwahrscheinlich, dass Washington erst nach den Bombardements informiert worden ist. Michele Dunne vom „Atlantic Council Center for the Middle East“ sagte in einem Interview: „Ich wäre überrascht, wenn es gar keine vorgezogene Information an die USA gegeben hätte.“

Zu dem Einsatz von Giftgas in Syrien und möglichen Konsequenzen wollte sich der US-Präsident noch nicht äußern. Zuvor müsse mit letzter Gewissheit festgestellt werden, ob und vom wem Gas eingesetzt worden sei.

Eine andere Nahostexpertin, Phyllis Bennis vom Washingtoner Institute for Policy Studies, fühlt sich in diesen Tagen an die Zeit vor der Invasion in den Irak im Jahr 2003 erinnert. „Damals verbreiteten fast alle US-Medien die Mär von Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen und trommelten für einen Krieg. Heute wissen wir nicht, ob wir es mit Falschinformationen aus Syrien zu tun haben“, sagt Bennis in einem Interview mit dem Fernsehsender al-Dschasira, „aber wir wissen, dass wir keine verlässliche Information haben.“