: Hoffnung fürs Herz
HERZ-LUNGEN-MASCHINE Der erste erfolgreiche Einsatz des künstlichen Kreislaufs, der zeitweilig die Funktionen von Herz und Lunge ersetzt, liegt 60 Jahre zurück. Eine Geschichte von Drama, Hoffnung und Tragik in der Medizin
■ Das historische Maß für Drücke „Millimeter Quecksilbersäule“ entspricht in etwa 1 Torr und geht auf eine Methode des italienischen Physikers Evangelista Torricelli zurück: Füllt man ein oben geschlossenes Rohr mit Quecksilber und stellt dieses Rohr mit seiner Öffnung in eine Schale mit dem gleichen, flüssigen Metall, wird das Quecksilber im Rohr auf eine bestimmte Höhe gedrückt. Heute wird es nur noch für den Blutdruck verwendet.
■ Das noch heute gebräuchliche Maß „Zentimeter Wassersäule“ geht ebenfalls auf Torricelli zurück. Satt Quecksilber wird nun Wasser zum Füllen des Rohrs verwendet. Weil Wasser 13,6-mal leichter ist als Quecksilber, muss das Rohr entsprechend länger sein – bei der Bestimmung des Luftdrucks zum Beispiel über 10 Meter hoch.
VON HOLGER ZORN
„Aorta zu! Vent maximal!“ Konzentriert arbeiten Chirurgen und Anästhesisten, Pfleger und Kardiotechniker. „Kardioplegie an!“ Knapp kommen die Kommandos, der erste kritische Moment der Herzoperation ist erreicht: Die Schlagader wird abgeklemmt, das Herz leergesaugt, ein Medikament in die Herzkranzgefäße gepumpt. Der Herzton wird langsamer, unregelmäßig, bleibt eine Minute später schließlich ganz aus. Die grüne Linie auf dem Monitor zeigt keinen Ausschlag mehr. Das Herz steht. Doch dies bedeutet hier nicht den Tod, sondern Hoffnung für ein erkranktes Organ.
Bypässe werden gelegt, Löcher geflickt, Klappen repariert. Das Verfahren, das dies ermöglicht, funktioniert seit genau 60 Jahren: Am 6. Mai 1953 verschloss John Heysham Gibbon an der Pennsylvania University in Philadelphia einen Defekt in der Vorhofscheidewand der 18-jährigen Cecelia Bavolek unter dem Schutz der Herz-Lungen-Maschine (HLM).
Fast ein Vierteljahrhundert hatte Gibbon gebraucht, die Methode zu entwickeln, einen Apparat zu bauen, der das venöse Blut aus den großen Hohlvenen ansaugen, es von Kohlendioxid reinigen, mit Sauerstoff anreichern und, gereinigt und gefiltert, dem menschlichen Körper wieder in die Aorta zurückgeben kann – mit bis zu 6 Litern pro Minute, stundenlang.
Doch die Geschichte begann eigentlich schon viel früher, genauer: am 3. Oktober 1930, als der junge Assistent Gibbon eine Nachtwache halten musste, wissend, dass er seiner Patientin nicht helfen konnte. Sie hatte eine schwere Lungenembolie und würde sterben, niemand konnte einfach eine Herzkammer aufschneiden und die Thromben herausholen. Da kam ihm der Gedanke, das Herz, eine Muskelpumpe, durch eine mechanische Pumpe zu ersetzen, wenigstens für ein paar Stunden, für die Dauer einer Operation.
Seinen Chef kann er dafür nicht begeistern, aber dessen wissenschaftliche Assistentin: Mary Hopkinson wird Gibbons wichtigste Partnerin, in der Forschung und im Leben. Nach der Hochzeit im März 1931 experimentieren sie zunächst mit Katzen, die sie mit Fischen von der Straße ins Labor locken. Sie schnüren die Lungenarterie ab und pumpen den Blutstrom eine Zeit lang durch die mechanische Lunge. Am 10. Mai 1935 überlebt erstmals ein Tier den Versuch, 39 Minuten wird es ohne eigene Herzfunktion, nur durch die extrakorporale Zirkulation, am Leben gehalten. Mary und John tanzen im Labor.
Der Zweite Weltkrieg unterbricht die Arbeit, verschlägt Gibbon als Truppenarzt nach Neukaledonien in den Südpazifik. Danach unterstützt IBM die Forschung, stellt Ingenieure ab, um insgesamt drei Herz-Lungen-Maschinen zu konstruieren. Modell II bringt schließlich den klinischen Erfolg.
1972, knapp zwanzig Jahre nach Gibbons Pioniertat, fährt ein 24 Jahre junger Mann auf seinem Motorrad durch Santa Barbara, Kalifornien. Er stürzt schwer, erleidet ein stumpfes Thoraxtrauma. Die Lungen sind gequetscht, die Aorta ist verletzt. Er wird operiert. Vier Tage später setzen seine Lungen aus.
Donald Hill und sein Team am Pacific Medical Center in Los Angeles haben die Herz-Lungen-Maschine inzwischen stark verbessert, die vielen rotierenden Scheiben für den Gasaustausch durch eine kleine Membranlunge ersetzt. Sie bringen das Gerät nach Santa Barbara, schließen es an den Patienten an, unterstützen drei Tage lang den Kreislauf. Bei einem extrakorporalen Blutstrom von 3,0 bis 3,6 Liter pro Minute, die Sauerstoffspannung im Blut erhöht sich von 38 auf 75 mmHg, kann die Sauerstoffkonzentration in der Atemluft von 100 auf 60 Prozent und der Atemwegsspitzendruck von 60 auf 35 cmWS verringert werden. Die Schock-Lunge wird erfolgreich entlastet, der Patient kann sich erholen.
Drei Jahre später, 1975, wird im Orange County Medical Center in Kalifornien ein Mädchen geboren. Doch etwas stimmt nicht. Ihre kleinen Lungen wollen nicht richtig arbeiten. Das Beatmungsgerät ist voll aufgedreht, die Sauerstoffspannung sinkt trotzdem auf 12 mm Hg.
Der Thoraxchirurg Robert Bartlett, an der Entwicklung der Membranlunge beteiligt, bringt eine Maschine herbei. Nie zuvor war sie an ein Baby angeschlossen worden. Die Mutter des Babys versucht zu verstehen, was man ihr erklärt, unterschreibt den Aufklärungsbogen mit einem „X“ – und verschwindet spurlos, war sie doch gerade illegal aus Mexiko eingereist und müsste, bliebe sie länger im Krankenhaus, mit Verhaftung und Abschiebung rechnen.
Nach drei Tagen extrakorporaler Blutoxigenierung haben sich die Lungen gekräftigt, das Baby kann selbständig atmen. Die Krankenschwestern geben ihm den Namen Esperanza – Hoffnung.
1998, wieder fast ein Vierteljahrhundert später, kollabiert in Deutschland ein 55-jähriger Chirurg in seiner eigenen Praxis. Ein Notarzt, schnell herbeigerufen, kann nichts mehr tun. Der Patient ist sein Freund. Eine HLM dabeizuhaben, hätte ihn vielleicht retten können.
Georg Matheis belässt es nicht bei diesem Gedanken. Er gründet eine Firma, entwickelt die weltweit erste wirklich mobile Herz-Lungen-Maschine. Nur 10 Prozent einer normalen HLM sollte sie wiegen, nicht einmal 20 Kilogramm. Zwar verlässt Matheis bald wieder die Firma und wendet sich anderen Projekten zu, doch 2007 beweist die Lifebridge am Deutschen Herzzentrum Berlin erstmals ihre Tauglichkeit. 2008 wird sie europaweit zugelassen, 2010 in den USA.
Inzwischen verdanken weltweit Millionen Menschen ihr Leben einer Herz-Lungen-Maschine. Doch deren Entwicklern half sie nicht: John Heysham Gibbon starb 1973, immer Alter von 69 Jahren während eines Tennisspiels – an einem Herzinfarkt. Und die Lifebridge Medizintechnik AG, im vergangenen Herbst noch einer der Bundessieger in der Initiative „Deutschland – Land der Ideen“, wird gerade selbst reanimiert: Sie musste Insolvenz anmelden und wurde von einer US-Firma gekauft.