: Der Punkt ist erreicht, an dem es reicht
Schwabenhass in Prenzlberg
Bloß nicht drauf einsteigen, dachte ich zum Jahreswechsel, als Wolfgang Thierse seine wohl altersbedingten Bemerkungen zum Thema „Schrippen, Wecken und Schwaben“ abgab. „Was denkst du denn als Schwabe dazu?“ wurde ich mehr als einmal gefragt und auf eine vermeintliche ethnische Identität festgeklopft. Meine Antwort: „Nichts!“ Denn jeder Kommentar würde nur die Wahrnehmung anderer Menschen als „Schwaben“ und „Nichtschwaben“ verstärken.
Aber mit dem Graffiti „Kauft nicht bei Schwaben“ ist der Punkt erreicht, an dem es reicht. Und auch reicht mit der Verharmlosung solcher Sprüche, auch in der taz. Stünde da „Kauft nicht bei Türken“, die Antifa wäre sofort vor Ort. Es bedarf nur des Austauschs weniger Buchstaben, um „Kauft nicht bei Juden“ zu lesen. Eigentlich müsste jedem klar sein, welche – bewusst oder unbewusst – rassistischen Mentalitäten dahinterstecken. Doch es wird großzügig abgewiegelt.
Bei „Schwaben“ scheint alles erlaubt zu sein. Dass die „geizig“ oder zumindest „sparsam“ sind und deshalb „Geld wie Heu“ haben, ist ja „bekannt“. In fast allen Zeitungen finden sich Wortspiele mit „Schwaben“, deren Subtext soziale Zuschreibungen enthält. Als ich einmal in einem Text aus Spaß „Schwabe“ durch „Türke“ ersetzte, hieß es gleich ganz liebevoll: „Jetzt hab dich nicht so.“ Sobald mensch sich wehrt, wird es als kleingeistig und verbohrt wahrgenommen.
Der Vergleich mag zu groß sein – aber kaum ein Historiker würde heute mehr bestreiten, dass die zunehmende Ethnisierung sozialer Fragen im Jugoslawien der 80er das Vorspiel zum Bürgerkrieg der 90er Jahre war. Deshalb ist es so gefährlich, wenn jemand wie Thierse nicht nur am Küchentisch, sondern öffentlich Diskursen und Mentalitäten das Feld ebnet, auf die dann andere aufspringen. Was würde in Berlin passieren, wenn es aufgrund des Zusammenbruchs der EU zu gewaltigen sozialen Konflikten käme? Plündert man dann Läden, weil der Inhaber ein „Schwabe“ ist? Von Thierses Worten bis zum Graffiti hat es auch nur fünf Monate gedauert.
Weil es anstrengend und kompliziert ist, über soziale Gegensätze und Gerechtigkeit zu reden, wird die Spannung ethnisiert. So gibt es in Prenzlauer Berg eben scheinbar keinen Konflikt mehr zwischen Menschen, die sehr unterschiedlich verdienen – das eigene Unbehagen an der Welt und der eigenen sozialen Situation wird auf eine von „außen“ kommende ethnische Gruppe projiziert, diese wird dafür verantwortlich gemacht.
Genau deshalb muss man leider auf das Gerede von „den Schwaben“ einsteigen. Denn auf die sozialen Fragen der Gegenwart und Zukunft kann es immer auch rassistische Antworten von rechts geben. Dagegen sollte mensch entschieden vorgehen. Liebe Antifa, übernehmen Sie …
CHRISTOPH VILLINGER