ADRIENNE WOLTERSDORF über OVERSEAS : Tito und Tarantula
Wie mich ein römischer Kaiser in Washington in die bizarre Welt hiesiger Handy-Netzbetreiber einführte
Wie meine neue Heimat funktioniert, lerne ich in der Schule von Augusto Caesar Vargas, genannt Tito. Tito rückt die Dinge in die richtige Perspektive. Er selbst lebt in seinem kleinen Laden, in dem er Handys und Telefonkarten verkauft. Darin bewegt er seine massige Gestalt mit möglichst wenig Körpereinsatz. Er trägt lange, schwarze Haare, davon die erste Haarreihe rund ums Gesicht abrasiert. Dazu meist ein zeltartiges T-Shirt, auf dem stets das Logo „Phatfarm“ steht. Tito, 28 Jahre alt, hasst Handys.
Als ich ihm mein Anliegen schildere, dass ich nämlich möglichst schnell eines brauche, beginnt er sein Verkaufsgespräch mit: „Lass mich dir ein bisschen etwas über Amerika erzählen.“ Da seien einige Dinge, die ich als Neue wissen sollte.
Punkt eins: Das mobile Netz in den USA sei löchriger als ein Schweizer Käse.
Punkt zwei: Die Handys, die er verkaufe, seien „really bad“, von miesester Qualität. Aber mehr könnten sich seine Latino-Kunden nun mal nicht leisten.
Punkt drei: Ich könne mich glücklich schätzen, wenn ich als Neue tatsächlich einen Handyvertrag ergattern könne, und alle Netzbetreiber seien ihrer Natur nach ohnehin Blutsauger. Dann fügte Tito noch gut gelaunt hinzu, dass er „mit diesem System nichts zu tun haben will“ und, „no, thanks“, nicht daran interessiert sei, amerikanischer Staatsbürger zu werden.
Das alles hört sich richtig gut an, dachte ich und wähnte mich in einem Film noir aus den amerikanischen Ghettos. Immer wieder tauchen in Titos Laden kleine südamerikanische Gestalten auf, die Handys bringen, Spanisch sprechen und fluchend Kredite bezahlen. Oder nur eine Telefonkarte kaufen, die Tito aus einer Maschine ausdruckt, die wie ein Kaugummiautomat aussieht.
Über die Telefonkarten sagt Tito ebenfalls wenig Gutes: Die meisten Firmen, die so was verkaufen, säßen in Kellerlöchern, von wo aus sie an ruinösen Deals und betrügerischen Zeittakten fummelten. Ah ja? Ich hatte mir die amerikanische Servicekultur ehrlich gesagt etwas anders vorgestellt. Tito guckt mich mitleidig an: „Sie geben einen Fliegenschiss auf dich als Kundin“, wiederholte er, damit ich es auch glaubte.
Titos Eltern waren Bauern in El Salvador. Als er fünf war, emigrierten sie mit ihm in die USA. Seinen Namen, Augusto Ceasar, erhielt er, weil sein Vater, während seine Mutter in den Wehen lag, in einer Bar rumhing, in der ihm ein Fremder auf Durchreise erzählte, dass dieser „Augusto Caesar“ ein großer Mann gewesen sei. Ich tippte bei Tito auf gekränkte Immigrantenseele und vergeigte Integration.
Einige Tage später erhielt ich tatsächlich ein Handy, schick zum Aufklappen. Ich war offensichtlich im allgemeinen Kaufrausch des Columbus Day, eines Feiertags, durchgerutscht. Alles war prima, bis, ja, bis zehn Tage später mein neues Handy plötzlich tot war.
Es bedurfte mehrerer Runden in den Warteschleifen des Unternehmens, bis ich herausfand, was los war: Ich war als Betrugsfall in der Abteilung für Finanzverbrechen gelandet, meine 150-Dollar-Anzahlung konfisziert und mein Vertrag annulliert worden. Protest zwecklos.
Tito telefonierte zu meiner Rettung herum. Auf Spanisch. Ich bekam schließlich eine zweite Chance, allerdings musste ich beweisen, dass ich ein anständiger Mensch bin: Vorlage des Führerscheins, des Wohnungsmietvertrags, des Journalistenausweises, meiner Geburtsurkunde, Schreiben der Botschaft und des Außenministeriums und jeweils einer Gas- und einer Stromrechnung. Mein Pass sei übrigens nutzlos, die Handyfirma erkenne nur Pässe der USA, Mexikos und Kanadas an. Wie bitte?
Mir blieb nichts anderes übrig, als das Gewünschte beizubringen. Was war geschehen?
Auf meinem Antrag fehlte die Nummer der amerikanischen Sozialversicherung. Und ich hatte mit einer ausländischen Kreditkarte bezahlt. Das war zu viel der individuellen Freiheit.
Unserer Autorin ist taz-Korrespondentin in Washington und wird künftig an dieser Stelle über „das großartigste Land der Welt“ kolumnierenFotohinweis: ADRIENNE WOLTERSDORF OVERSEAS Fragen zu Tito? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN