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Archiv-Artikel

Nach dem Castor kommt der Spinner

PLAGEN Wendländer haben’s schwer: Atommüll gibt’s schon, nun bringt der Klimawandel fiese Raupen

Bio-Insektizide, aber auch synthetische Gifte – überall wird kräftig gesprüht

GÖTTINGEN taz | Am Deich bei Pevestorf geht es nicht mehr weiter. Der Elbe-Radweg ist mit rot-weißem Flatterband und einer Warntafel gesperrt – ausgerechnet jetzt kurz vor Pfingsten, wenn bei der „Kulturellen Landpartie“ Massen von Besuchern im Wendland unterwegs sind.

Grund für die überall in der Region vorgenommenen Absperrungen sind die Eichenprozessionsspinner. Genauer: das vorsorglich in den vergangenen Tagen versprühte Gift. Eichenprozessionsspinner sind Nachtfalter, die von Ende Juli bis Anfang September fliegen und ihre Eier bevorzugt auf Eichen ablegen. Sie stammen ursprünglich von der Iberischen Halbinsel. Inzwischen aber haben sie sich auch in vielen Gegenden Deutschlands ausgebreitet, vor allem in Niedersachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Als Hauptursache für diese Wanderbewegung nennen Biologen den Klimawandel.

Juckreiz und Fieber

Die Härchen der Raupen haben Widerhaken und enthalten ein Gift namens Thaumetopoein, das dem der Brennnesseln ähnelt. Es ist jedoch stärker und wirkt länger. Mögliche allergische Reaktionen sind Juckreiz und Hautentzündungen, eingeatmete Haare können Atemnot, hohes Fieber und sogar einen allergischen Schock auslösen, warnen die Gesundheitsämter.

Der Arzt Jan Geldmacher aus dem Wendland-Dorf Gartow musste im vergangenen Sommer täglich bis zu 15 Patienten behandeln, die mit allergischen Reaktionen in seine Praxis kamen. Mancherorts gingen den Apotheken zeitweise die Medikamente aus.

Massive Baumschäden

Problematisch sind die Raupen, die sich meist in Prozessionen zu Hunderten oder Tausenden von Fressplatz zu Fressplatz bewegen, aber nicht nur für Menschen. Im Elbholz zwischen Pevestorf, Gartow und Schnackenburg hat der Befall bereits einige hundert Bäume so stark geschädigt, dass sich der Forstbesitzer und Atomkraftgegner Fried Graf von Bernstorff entschied, sie fällen zu lassen, um den wirtschaftlichen Verlust einzudämmen. Insgesamt holten die Waldarbeiter rund 1.000 Festmeter Holz aus diesem Naturschutzgebiet.

Im Wendland startete eine Firma aus Brandenburg vor gut einer Woche den Einsatz gegen die Eichenprozessionsspinner. Spezialfahrzeuge besprühten betroffene Waldstücke mit Insektiziden. Hauptsächlich sei dabei das biologische Präparat Dipel ES eingesetzt worden, versichert die Kreisverwaltung. Im Nachbarkreis Lüneburg versprühten Hubschrauber zeitgleich die Insektengifte Karate und Dimilin auf befallene Bäume und Alleen.

An den Landesstraßen koordiniert die niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr den Kampf gegen die Raupen. Die Samtgemeinde Lüchow, in deren Bereich besonders viele Veranstaltungsorte liegen, erwirkte allerdings eine Unterbrechung während der „Kulturellen Landpartie“. Hier gehen die Bekämpfungsmaßnahmen erst am 21. Mai weiter.

Kräftig gesprüht wird auch in Brandenburg. Der Schlosspark Sanssouci in Potsdam schloss deshalb am Montag für acht Stunden. Auch den Eichenprozessionsspinnern in Parks in Babelsberg und anderen Orten soll dieser Tage mit Hubschrauber-Angriffen der Garaus gemacht werden. REIMAR PAUL