: Vom Krieg zur Wahlurne: So nah und doch so fern
MALI Der Wahltermin 28. Juli steht, egal, ob es geht. Denn dem Wahlsieger winken Milliardenhilfen
ISSAGA KAMPO, VIZECHEF DER WAHLKOMMISSION
AUS BAMAKO KATRIN GÄNSLER
Wenn Ibrahim Dicko an die Wahlen in Mali denkt, dann schüttelt er mit dem Kopf. „Ich weiß nicht, warum wir jetzt schon wählen sollen“, sagt Dicko, der sein Geld früher als Fremdenführer verdient hat. Touristen gibt es in Mali so gut wie nicht mehr, weshalb sich der 22-Jährige nichts sehnlicher wünscht als die Rückkehr zum normalen Leben. Doch dass die Wahlen dabei tatsächlich helfen werden, daran glaubt er nicht. „Ich habe auch keine Ahnung, wem ich meine Stimme geben sollte. Wer sind überhaupt die Kandidaten?“
Wie Ibrahim Dicko empfinden viele Malier den 28. Juli, der diese Woche als Wahltermin festgelegt worden ist, als zu früh. Sie fühlen sich unvorbereitet, obwohl Juli als Wahlmonat schon länger im Gespräch war. Kaum galten die Städte Timbuktu und Gao Ende Januar durch die Intervention des französischen Militärs als befreit, verkündete Interimspräsident Dioncounda Traoré, dass am 7. Juli, spätestens jedoch am Monatsende, gewählt wird. Ganz freiwillig dürfte er sich allerdings nicht für dieses Datum entschieden haben. Der Druck der internationalen Gemeinschaft ist extrem groß.
Nach dem Militärputsch vom 22. März 2012 hatten viele Länder ihre Hilfsgelder für Mali mindestens teilweise eingefroren. In vollem Umfang soll die finanzielle Unterstützung erst wieder aufgenommen werden, wenn es eine demokratisch gewählte Regierung gibt. Eine Geberkonferenz in Brüssel am Mittwoch stellte dafür 3,25 Milliarden Euro in Aussicht, deutlich mehr als erwartet. Das ist ein unwiderstehlicher Anreiz, denn Malis Regierungen sind extrem abhängig von Geldern aus dem Ausland.
In Bamako bekräftigt Issaga Kampo, erster Vizepräsident der Wahlkommission (Ceni): „Die Wahlen sind Teil der Marschroute.“ Es ist jener Handlungsrahmen zur Wiederherstellung der Demokratie in Mali, der Ende Januar beschlossen worden war. Kampo ist sich des Wahltermins sicher, aller Kritik und allen noch ungeklärten Fragen zum Trotz.
Wer den Norden Malis besucht, dürfte daran zweifeln. Die Städte Timbuktu und Gao gelten – anders als Kidal – zwar als befreit und relativ sicher. Doch im Umland sieht das anders aus. Bis heute trauen sich viele Menschen nicht zurück in ihre Dörfer. Auch Kampo gibt zu: „Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht.“ Man dürfe nicht vergessen, dass Mali gerade aus einer Krise hervorkomme.
Doch viele Menschen sind noch gar nicht in den Norden zurückgekehrt. Nach den neuesten Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR leben weiterhin 475.000 Menschen aus Nordmali, ein gutes Viertel der Bevölkerung als Flüchtlinge, entweder im Süden des eigenen Landes oder in Nachbarländern. Es sei möglich, in den Flüchtlingscamps zu wählen, sagt Ceni-Vizepräsident Kampo. Für Burkina Faso könne etwa eine Lösung mit der dortigen Regierung gefunden werden. Allerdings ist auch klar: In den Camps gibt es keinen Wahlkampf. Zeitungen aus Mali gibt es nicht, ebenso kein Internet. Auch die Handyverbindungen brechen regelmäßig zusammen. Die Möglichkeiten, sich zumindest ein wenig über die Präsidentschaftskandidaten zu informieren, sind gering.
Ein weiteres Problem in der ganzen Region: Es mangelt an Administration und Infrastruktur. Strom gibt es – wenn überhaupt – nur für wenige Stunden. Rathäuser und Polizeistationen sind leer, kein Laptop, kein Drucker, kein Ventilator steht dort mehr.
Immerhin gilt zumindest ein technisches Problem angeblich als gelöst. Nach Informationen des staatlichen Senders ORTM sollen die Wahlkarten bis zum 20. Juni verteilt werden.