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Archiv-Artikel

Designphilosophie des Möglichen

Bei den „Passagen 2006“ – dem Ausstellungsprogramm zur Kölner Möbelmesse – herrschen schrille Farben und Formen vor. Die Möbel und Gebrauchsgegenstände der Zukunft sind bunt, schillernd und ein bisschen luxuriös, wie die Designer zeigen

AUS KÖLN HOLGER MÖHLMANN

Gute Nachrichten für alle, die es gern bunt mögen: Die trüben Jahre sind vorbei, zumindest was das Dekor angeht. Nicht nur die Kölner Möbelmesse fällt in diesem Jahr durch ihren Mut zur Farbe auf – auch die zeitgleichen „Passagen“ stehen ganz im Zeichen des Regenbogens. Das renommierte Ausstellungsprogramm, das die Kölner City alljährlich eine Januarwoche lang zu einem Erlebnisparcours in Sachen Inneneinrichtung, Design und Lifestyle umfunktioniert, geht 2006 in die siebzehnte Runde. Über 150 Einzelausstellungen in Museen und Galerien, Bars und Geschäften, Showrooms und Kellerfächern zeigen, wie sich etablierte Designlabels und ambitionierte Newcomer aus dem In- und Ausland die Zukunft ihrer Branche vorstellen.

Und die schreit dem „Passagen“-Besucher oftmals in schrillen Farben und Formen entgegen. Der nicht tot zu kriegende Retro-Trend hat nämlich die frühen Achtziger entdeckt – jene kurze Zeitspanne, in der sich die Buntheit des vorangegangenen Jahrzehnts mit den windschnittigen Entwürfen angesagter Designer verband, kurz bevor dann alles pechschwarz und neonweiß, chromglänzend und ultracool wurde. So heißt die Ausstellung in der Filiale einer Modekette schlicht „1981“: Zwischen knallroten Schals und grellgelben T-Shirts finden sich Fotos und Zeitschriften aus diesem Jahr, irritierende und zugleich inspirierende Zeugnisse einer Epoche, in der vieles öde war, nur die äußere Erscheinung nicht.

Leben wir heute in ähnlich trüben Zeiten und sind deshalb süchtig nach satten Farben? Wo eine schwarz gewandete Kanzlerin über zu hohe Arbeitslosigkeit räsonniert und die Zukunft nicht immer rosig malt, sollen wenigstens unsere Möbel und Gebrauchsgegenstände fröhlich schillern, meinen die Designer. Und fügen den leuchtenden Primärtönen noch schnell einen Hauch Luxus hinzu, denn auch der ist schwer angesagt: In der alten Bahndirektion am Rheinufer, wo zu „Passagen“-Zeiten die Labels für den etwas teureren Geschmack residieren, begegnen einem schöne Farben, feine Stoffe und edle Muster auf Schritt und Tritt, spielen Sofas und Lampen mit den pompösen Formen vergangener Jahrhunderte. Zwischen Nympenburger Porzellan und kühnen Kristallkonstruktionen lassen sich explodierende Erdgaspreise genauso gut vergessen wie die Mehrwertsteuererhöhung und das Hartz-IV-Elend. Unter den Ausstellern ist eine Firma, die sich mit ihren luxuriösen Kostbarkeiten aus deutschen Manufakturen direkt an alle Yuppies wendet – auch sie ein Phänomen der Achtziger. Dass die Inhaber des Labels mit Nachnamen Sieger heißen, ist Zufall. Aber einer, der bestens ins Konzept passt.

Bei ecosign am Neumarkt leuchten die Farben genauso stark, nur unter ganz anderen Vorzeichen. Die 1994 gegründete Akademie für Gestaltung vertritt eine Designphilosophie, die Nachhaltigkeit, Ökologie und gesellschaftliches Bewusstsein mit den praktischen Möglichkeiten des Entwerfens verbindet. In diesem Jahr stehen Foto- und Kommunikationsdesign im Zentrum der kleinen Ausstellung anlässlich der „Passagen“.

Bunte Plakate bestimmen das Bild: Schwarz-rote-goldene Gummibärchen halten einer saturierten deutschen Jammergesellschaft den Spiegel vor, andere Entwürfe fragen nach der Religiosität einer EU, die der Türkei den Beitritt erschwert, oder suggerieren Ähnlichkeiten zwischen moderner Gentechnologie und dem Rassenwahn der Nazis. Durchweg ansprechend sind die gezeigten Motive, strahlen Kreativität und Esprit aus und sind dabei völlig frei von dogmatischer Betroffenheit. Buntheit kann auch tiefsinnig sein.

Wer trotz allgegenwärtiger Sofalandschaften nicht müde wird und sich weder vom Schrei der Farben noch vom stählernen Glanz zahlloser Küchenzeilen blenden lässt, hat die Möglichkeit, jenseits der Luxuslabels ein paar wirklich originelle Designkonzepte zu entdecken. Ein Beispiel sind die beheizbaren Kuschelfelle, die auf dem Boden eines Showrooms im Belgischen Viertel liegen, ein anderes die Ausstellung der Designerin Kuniko Maeda, die sich den Tischmanieren als Inspirationsquelle widmet. Und wer möchte, dass ihm in Sachen Licht ein solches aufgehe, der kann im Deutzer Stadthaus die preisgekrönten Entwürfe des „Nachlux 2006“ auf sich wirken lassen – des europäischen Innovationspreises für Lichtdesign, der in diesem Jahr zum zehnten Mal verliehen wird.

Bleiben noch die Cocktails: Bis einschließlich Sonntag laden täglich mehrere Aussteller zu bunten Getränken. Die kann man dann so lange trinken, bis sich aus den Farben der Möbel und denen im Glas die Schattierungen des Regenbogens für das nächste Jahr ergeben.

Passagen 2006, bis 22.01.www.voggenreiter.com/passagen