Karriere in Gefahr

Annette Dytrt muss EM-Achte werden, um bei Olympia dabei zu sein. Ihr Präsident sagt: „Wenn sie diese Chance nicht nutzt, dann muss man sagen, dass es das war“

LYON taz ■ Das Lächeln ist bei Annette Dytrt ein Arbeitsutensil. Im Eiskunstlaufen kann gespielte Fröhlichkeit über Titel oder Trauer entscheiden, denn die Präsentation fließt in die Bewertung der Läufer ein. Dytrt beherrscht dieses Mittel ziemlich perfekt, sie ist viermal in Folge Deutsche Meisterin geworden. Doch zuletzt wirkte das Lächeln stets aufgesetzt. Sobald sie vom Eis glitt, wurde sie traurig, manchmal kamen ihr gar die Tränen.

Bei den Eiskunstlauf-Europameisterschaften in Lyon wirkt sie dieser Tage hingegen völlig befreit. Sie geht auf die Leute zu, zeigt sich neugierig und lächelt ständig. Vor allem: Dieses Lächeln wirkt echt – und das, obwohl der Druck, der auf ihr lastet, ziemlich groß ist: Dytrt muss mindestens Achte werden, um sich für die Olympischen Spiele in Turin zu qualifizieren. „Wenn sie diese Chance nicht nutzt“, sagt Reinhard Mirmseker, Präsident der Deutschen Eislauf-Union (DEU), „dann muss man sagen, dass es das war.“ Ihre internationale Karriere ist also in Gefahr, wenn sie heute (19 Uhr, live bei Eurosport) die Kür läuft, mit Rang zwölf bei der gestrigen Kurzkür hat Dytrt zumindest ihre Chancen gewahrt.

Die neue Leichtigkeit hat die 22-Jährige einem radikalen Wandel in ihrem Umfeld zu verdanken. Die häufig zerbrechliche Dytrt kehrte vor drei Wochen ihrem Wohnort München und Trainerin Shanetta Folle den Rücken und zog nach Erfurt, wo sie zusammen mit dem deutschen Meister der Männer, Stefan Lindemann, bei dessen Trainerin Ilona Schindler trainiert. Der erste Erfolg dieses Zusammenschlusses ist Dytrts blendende Laune und ihr neu gewonnenes Selbstvertrauen. „In zwei Wochen kann man technisch nicht viel ändern“, sagt Schindler, „aber man kann das Mentale stärken.“ Das hat sie offensichtlich getan.

Annette Dytrts Schritt aus dem gewohnten Umfeld nach Erfurt birgt freilich Risiken. Das weiß sie, „aber ich bin bereit, sie einzugehen.“ Schon einmal hatte sie vor Jahren München verlassen und war nach Prag gezogen, wo ihre Eltern ursprünglich herkommen. Sie wurde damals auf Anhieb tschechische Meisterin, war dann aber so sehr von Heimweh geplagt, dass sie wieder nach Bayern zurückkehrte. Vor zwei Jahren sollte sie dann zusammen mit Trainerin Folle wegen der besseren Trainingsbedingungen in die USA wechseln. Zähneknirschend akzeptierte sie, aber nur, weil man ihr zusicherte, mindestens das halbe Jahr in der Heimat verbringen zu können.

„Jetzt ist es etwas anderes“, sagt die Athletin, „in Amerika hätte ich niemanden gekannt, und wenn es dann mit der Trainerin nicht stimmt, ist es schwierig.“ Die Chemie zwischen Folle und Dytrt hat anscheinend schon länger nicht mehr gestimmt. „Ich will nichts Schlechtes über sie sagen“, sagt Dytrt, „aber man kann auch Spaß am Training haben.“ Jedenfalls: In Erfurt sei jetzt alles besser.

Weil in der DEU alle Bescheid wissen über Dytrts Harmoniebedürfnis, geben sich alle redlich Mühe. Lindemann etwa gewährt der Trainingskameradin vorübergehend Unterschlupf. „Wir haben jetzt eine Eiskunstlauf-WG“, sagt Dytrt. Lindemanns ungarische Freundin Nicoletta zeigte der Neu-Erfurterin die Stadt, Trainerin Schindler bemüht sich in vielen Gesprächen, die Sportlerin aufzubauen.

Derartige Hege war nötig, denn die Leistungen der gebürtigen Landshuterin waren zuletzt schwach. Bei den deutschen Meisterschaften Ende Dezember in Berlin gewann sie zwar verdient – allerdings nur, weil die Konkurrenz noch mehr gepatzt hatte als sie selbst. Und auch international blieb sie in den vergangenen Jahren hinter den Erwartungen zurück. Im offiziellen Training im „Palais des Sports Gerland“ in Lyon lief es schon deutlich besser. Sie stürzte kein einziges Mal und ihre Körpersprache drückte ein gewisses Selbstvertrauen aus. „Manchmal“, sagt sie nachdenklich, „bereue ich es, dass ich nicht schon früher den Trainer gewechselt habe.“ ANDREAS WAGNER