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Archiv-Artikel

Der letzte Kampf des Mario Soares

Bei den Präsidentschaftswahlen in Portugal tritt der 81-jährige Sozialist noch einmal an. Doch der Konservative Cavaco Silva liegt klar in Führung. Er gilt als Hoffnungsträger

MADRID taz ■ Mario Soares kämpft wieder. Der 81-jährige historische Führer der portugiesischen Sozialisten will bei den Wahlen am kommenden Sonntag Staatsoberhaupt seines Landes werden. Um „die Krise zu überwinden, die sich nicht mehr übersehen lässt“, tritt der Alte, der sich in den Zeiten der Nelkenrevolution 1974 und des Übergangs zur Demokratie einen Namen machte, an, um „Präsident aller Portugiesen“ zu werden.

Nur die Wähler scheinen ihm nicht zu folgen. Die Umfragen sagen dem liberal-konservativen Gegenkandidaten Anibal Cavaco Silva bereits für die erste Runde die absolute Mehrheit voraus. Damit zöge erstmals in der Geschichte der jungen portugiesischen Demokratie ein Politiker aus der Rechten in den Präsidentenpalast ein.

Doch Soares wäre nicht Soares, würde er sich geschlagen geben. Er zieht durch das Land und schimpft gegen die Mächte, die sich gegen ihn und die Arbeiterklasse verschworen haben sollen. „Die Banken und die alten Kapitalisten“ hätten nur ein Ziel: dem konservativen Kandidaten zum Sieg zu verhelfen. „Wir beobachten eine Berlusconisierung der Presse: Die wirtschaftliche Macht übernimmt die Presse, um so die politische Macht in die Hände zu bekommen“, behauptet Soares, der von seinem Volk liebvoll „O Rei“, der König, genannt wurde, als er von 1985 bis 1995 schon einmal Staatsoberhaupt war. „Ich bin von einem Tag auf den anderen vom Vater Portugals zum größten Unruhestifter der Nation geworden“, zeigt sich Soares völlig verständnislos dafür, dass er jetzt nicht mehr ankommt.

Zwar füllt der Alte überall im Land Säle und Plätze, und die Menschen applaudieren auch, wenn er gegen die „Oligarchie“, „die Globalisierung“ und „das Europa der großen Konzerne“ wettert oder erklärt, dass „die Senkung des Haushaltsdefizits nicht alles ist“. Doch auf der politischen Mitte kann Soares mit diesem Programm nicht punkten, und auch auf der Linken holt er längst nicht alle Stimmen.

Dort tummeln sich nämlich vier weitere Kandidaten. Neben der radikalen Linken und den orthodoxen Kommunisten tritt mit dem bekanntesten portugiesischen Dichter, Manuel Alegre (69), eine zweite Persönlichkeit aus den Reihen der sozialistischen Regierungspartei (PS) an. Alegre liefert sich laut Umfragen mit 15 bis 17 Prozent ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Soares um Platz zwei hinter Cavaco.

Doch wenn die Umfragen Recht behalten, könnte der 66-jährige liberal-konservative Anibal Cavaco Silva bereits in der ersten Runde mehr als 50 Prozent auf sich vereinigen. Damit wäre er gewählt. Cavaco, der von 1985 bis 1995 unter Präsident Mario Soares Regierungschef war, wird von einem liberal-konservativen Bündnis der Sozialdemokratischen Partei (PSD) und dem Demokratisch- Sozialen Zentrum (CDS) unterstützt.

Als Zeichen seiner „Unabhängigkeit“ legte Cavaco vor dem Wahlkampf seine Mitgliedschaft bei der PSD nieder. Anders als früher verzichtet er auf seinen rein wirtschaftlich-neoliberalen Diskurs und die harten Attacken gegen die Linke. Auf einer Versammlung sang er gar demonstrativ „Grândola, Vila Morena“, das Lied, das am 25. April 1974 das Signal für die Nelkenrevolution war. „Ich weiß, dass Portugal gewinnen kann“, ruft er immer wieder der Menge zu.

Das kommt an. Denn die Portugiesen suchen nach jemandem, der ihnen Hoffnung macht. Die Wirtschaft stagniert seit fünf Jahren. Während das benachbarte Spanien, das wie Portugal 1986 der Europäischen Gemeinschaft beigetreten ist, heute auf Platz acht der Wirtschaftsnationen rangiert, ist Portugal nach wie vor das Schlusslicht der EU. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Staatsverschuldung und das Haushaltsdefizit wurden zum wiederholten Male von Brüssel in einem blauen Brief angemahnt. Der seit einem Jahr regierende Sozialist José Socrates versucht, der Lage mit Kürzungen im öffentlichen Dienst Herr zu werden. Das zeigt zwar erste Erfolge, nur beliebt machen sich die Sozialisten damit nicht.

So könnte jetzt Anibal Cavaco Silva zum Hoffnungsträger werden. „Vielleicht sind diese Wahlen das Ende des politisch-ideologischen Diskurses in Portugal und in den Köpfen der Portugiesen das Ende der Utopien aus der Zeit des 25. April: Es ist unsere Berliner Mauer, die endgültig einstürzt“, schreibt José Gil, Philosophieprofessor in Lissabon und Autor des Bestseller „Portugal, die Angst zu existieren“.

REINER WANDLER